Washingtons wilde Jahre

Kaum ein Präsident ist mit solcher Vehemenz angefeindet worden wie Bill Clinton. Aber wenn es hart auf hart kam, lief er zur Höchstform auf

„In den kommenden Jahren werde ich niemals eine höhere Position oder einen heiligeren Bund auf mich nehmen als das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten.“

aus Washington STEFAN SCHAAF

„Er wird es zugeben“, vermutete die E-Mail eines republikanischen Fraktionsassistenten in Washington, „ich finde, wir müssen weiter attackieren.“ Es war der 18. August 1998, der schwärzeste Tag im Leben William Jefferson Clintons.

„Wir müssen die Demokraten zwingen, sich von dem Lügner zu distanzieren“, kam die Antwort per Modem zurück. „Diese ganze Geschichte, dass man jemanden, der schon am Boden liegt, nicht noch treten darf, ist bullshit. Man muss ihn treten, dann mit einem Baseballschläger auf den Kopf hauen, dann in einen alten Teppich wickeln und die Klippen hinab in die Wogen werfen“, mailte der Pressesprecher des stellvertretenden republikanischen Fraktionsvorsitzenden Tom DeLay von der anderen Küste zurück.

Willkommen im Washington der Clinton-Jahre, im Washington der wildesten Präsidentschaft seit der Amtszeit Richard Nixons. Acht Jahre, in denen die Mitarbeiter Clintons sich ständig unter Beschuss fühlten, wie in einem Schützengraben. Nur waren sie nie sicher, ob die Geschosse nur vom anderen Ende der Pennsylvania Avenue, dem Hauptquartier der republikanischen Truppen seines Widersachers Newt Gingrich und dem Fort des Sonderermittlers Kenneth Starr kommen, oder ob wieder ihr Boss selbst die Zündschnur angesteckt hatte.

Acht Jahre, die sich so bizarr, so dramatisch kein Drehbuchschreiber hätte ausdenken können. Joe Kleins sensationeller Bestseller „Primary Colors“, ein halb fiktiver Roman über Clintons Wahlkampf von 1992, wirkt heute, nach Newt Gingrich, Linda Tripp, Monica Lewinsky, nach Kenneth Starr und dem Obersten Richter William Rehnquist, der in einer Phantasie-Uniform das Impeachment-Verfahren leitete, schal.

Einer der belesensten, engagiertesten und eloquentesten Präsidenten, die die Vereinigten Staaten hatten, war sich oft selbst sein größter Gegner. Seine Vergangenheit, seine Lebenslust, seine menschlichen Schwächen holten ihn immer wieder ein.

Fast wäre er von der mächtigsten Explosion, die er selbst ausgelöst hat, hinweggefegt worden. Im August 1998, nachdem er öffentlich sein Verhältnis zu Lewinsky eingestanden hatte, drohte er die Unterstützung seiner Partei im Kongress zu verlieren. Kurzzeitig sah es so aus, als könnte es tatsächlich zu der nötigen Zweidrittelmehrheit für eine Amtsenthebung kommen, und einige führende demokratischen Senatoren planten, ihn im Weißen Haus aufzusuchen und zum Rücktritt zu drängen.

Am Ende war es der fast schon religiöse Eifer der republikanischen Ultras, der Clinton rettete. Unfähig, demokratische Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen, blieben sie isoliert, wurde das Impeachment-Verfahren zur Posse. Am Ende standen die Hardliner als Verlierer da, Clinton als ramponierter Präsident – und wieder mal als „Comeback Kid“.

Wie schon 1992, im Vorwahlkampf in New Hampshire, als ein billiges Sensationsblatt Clintons Verhältnis zu Gennifer Flowers ausposaunt hatte. Ausnahmsweise stimmte die Geschichte des Blattes, das sonst eher von winkenden Aliens und dreiköpfigen Ziegen berichtet. Bill und Hillary Clinton retteten sich ins Fernsehen: „Unsere Ehe war nicht immer perfekt“, gaben sie zu, und ihnen wurde verziehen. Und so ging es weiter mit den Affären: Paula Jones, Whitewater, Troopergate, Travelgate, Filegate, ständig schlugen die Geschosse im Weißen Haus ein, jedesmal schrieben sich die konservativen Kolumnisten die Finger wund, redeten sich in den Radio- und TV-Talkshows in Rage. „Da ist diese ausgedehnte Verschwörung der Rechten“, beschwerte sich Hillary Clinton in einem Interview und wurde für überdreht gehalten. Doch jedesmal flatterten die Vorladungen der Sonderermittler ins Weiße Haus, selbst der niederste Aktenknecht musste sich mit Anwälten, die mehrere hundert Dollar pro Stunde kassierten, dagegen wehren, dass seine Einkaufszettel, Tagebücher und Urlaubspostkarten von Kenneth Starr eingezogen wurden.

Woher rührte die Vehemenz, mit der Clinton bekämpft wurde? War es, weil die Rechte nach zwölf Jahren Reagan und Bush senior das Weiße Haus schon als Erbhof betrachtete? Weil Clinton den Stil missachtete und mit seinem jungen, unerfahrenen Team am Anfang so viele Fehler machte? Weil er gegen den Vietnamkrieg, für Schwule im Militär war und (fast) zugab, gekifft zu haben? Weil er ein Baby-Boomer, der erste Präsident der Nachkriegsgeneration, des Rock ’n’ Roll war, der auf MTV erzählt, welche Unterhosen er bevorzugt? Wahrscheinlich sind alle diese Antworten zutreffend, jede ein bisschen, und alle zusammen ergeben eine gefährliche Mixtur.

Viele, gerade in Europa, haben diesen lockeren, menschlichen Stil missverstanden und Clinton für einen Linksliberalen gehalten. Innerhalb der Demokratischen Partei, jener seltsamen Addition von gesellschaftlichen Minderheiten und Partikularinteressen, war er eher ein Rechter, hatte Ende der 80er-Jahre den Democratic Leadership Council gegründet, der die Partei aus dem Griff von Gewerkschaften, Schwarzen und anderen Interessengruppen lösen wollte. Diese boten den Republikanern zu viele Angriffsflächen. Clinton hat bei der Debatte um das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) erst seine Partei und dann eine zögernde Nation auf eine Ära globaler Handelsbeziehungen eingeschworen. Seine – und Hillarys – ehrgeizigste und wichtigste „liberale“ Reform, die Schaffung einer umfassenden staatlichen Krankenversorgung, scheiterte relativ früh in seiner Amtszeit. Seine beiden bleibenden Errungenschaften stammen hingegen aus dem Wahlkampfbuch der Republikaner, und zu beiden Reformen wurde er letztlich von außen gezwungen.

„Vielleicht finden Sie jemanden, der den Job besser macht als ich. Aber Sie werden nie einen finden, der dabei mehr Spaß hatte.“

Clinton hatte im Wahlkampf versprochen, etliche Milliarden Dollar in das Gesundheits- und Erziehungswesen, in Forschung und Fortbildung zu investieren. Kaum war er im Amt, legte sein Stab ihm die wahren Zahlen über das von Bush hinterlassene Haushaltsdefizit auf den Tisch. Und Alan Greenspan, Chef der amerikanischen Notenbank, drohte ihm: Wenn er das Defizit nicht drastisch verringere, werde die sieche US-Ökonomie nie auf die Beine kommen. Unter den zornigen Blicken seines brillanten Arbeitsministers Robert Reich opferte Clinton sein Wirtschaftsprogramm den Wünschen der Wall Street.

Den zweiten Schritt hin zu einem ausgeglichenen Haushalt machte Clinton nur nach einem epischen Kampf gegen Newt Gingrich, der 1994 die Kontrolle im Repräsentantenhaus gewonnen hatte und mit der Axt über die Sozialprogramme herfallen wollte. Clinton blieb hart, stellte Gingrich als Verantwortlichen für die mehrwöchige Schließung des Staatsapparats hin und setzte seinen eigenen Plan durch.

Die zweite Kröte, die Clinton seine Partei schlucken ließ, war die Reform der Sozialfürsorge. Eine der wichtigsten Errungenschaften des Weltkriegspräsidenten Franklin D. Roosevelt wurde geopfert zugunsten einer – dank des Wirtschaftsbooms und des Arbeitskräftemangels der vergangenen Jahre – bislang erfolgreichen Alternative: Die Dauer der Fürsorgezahlungen wird begrenzt, dafür hilft der Staat bei der Jobsuche. Andere Finanzhilfen für einkommensschwache Familien wurden ausgeweitet. Das Resultat seiner Politik hat Clinton in den letzten Wochen bei jeder Gelegenheit wie ein Mantra wiederholt: 22 Millionen neue Jobs sind entstanden, die Zahl der Sozialhilfeempfänger wurde um die Hälfte, um acht Millionen, reduziert und auch die Zahl der AmerikanerInnen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, ging stark zurück.

Clintons mit Abstand größtes Talent ist seine Fähigkeit, zu kommunizieren, sich auf sehr persönliche Weise mitzuteilen oder andere verbal zu engagieren. Er hat es in jeder denkbaren Situation eingesetzt, als Wahlkämpfer, in Reden, in Interviews, in traumatischen Momenten wie nach dem Terroranschlag von Oklahoma City und als Vermittler in den Konflikten von Nordirland bis Nahost. Er liebt es, wie Robert Reich seinem alten Freund attestiert, zu reden, zu debattieren, Ideen wachsen zu lassen. Am Ende seiner Amtszeit bleibt der Eindruck, er habe zu wenig davon wirklich umgesetzt, weil er zu sehr damit beschäftigt war, seine Haut zu retten.