Höllische Reise, abgrundtief

Dantes Göttliche Komödie, Teil 1: „Inferno“, monumental, aber inhaltleer von Tomaz Pandur am Thalia inszeniert  ■ Von Annette Stiekele

Schön waren die Bilder. Und nicht umsonst gilt er als einer ihrer Meister: Der slowenische Regisseur Tomaz Pandur hält uns in seiner Fassung von Dantes La Divina Commedia, der göttlichen Komödie von Dante Alighieri, den Spiegel vor. Und was der zurückwirft, ist nicht immer angenehm.

Es ist die ungeschminkte Wahrheit, mit der uns Pandur bei seiner Fassung von Dantes Divina Commedia konfrontiert, deren erster Teil Inferno. The book of the soul im Thalia Theater als recht inhaltsleeres Bilderspektakel über die Bühne ging. Der aus Fotografien zusammengesetzte Bühnenvorhang zeigt, wohin die Reise geht: in den Bruderkrieg im ehemaligen Jugoslawien. Ein „Balkanengel“ (Andreas Pietschmann) kündigt die Fahrt Dantes in die Unterwelt an. Und die ist wirklich imposant. Marina Hellmanns Bühne bildet eine schwarze, monumentale Kulisse, die in zwei Etagen aus Blech und Stahl die Stadien der Hölle symbolisiert. Dante, kahlköpfig, sensibel, hadernd mit sich und der Welt, (großartig: Thomas Schmauser) trifft auf seinen Führer Vergil (Dietmar König), der ihn durch die Hölle führen wird.

Aus dem Dante-Text haben Pandur und sein Team ein Grundgerüst amalgamiert und es in knapp anderthalb Stunden gepresst. Das Inferno ist Metapher für einen Geis-teszustand, Dante, die lebende Seele, Symbol einer Reise durch die Hölle zu unserem innersten Selbst. Dafür gräbt Pandur mit seinen archaischen Szenen tief in verborgenen Gründen. Erst am Ende des Paradieses findet die verirrte Seele des Dante zur Erlösung in Gott.

Der allegorische Ort des Infernos ist einer ohne Hoffnung, über dessen Tor geschrieben steht: „Lasst alle Hoffnung fahren, die Ihr eintretet.“ Seine Hölle reichert Pandur mit Symbolen von Krieg, Vertreibung und Heimatverlust an, denn wie Dante musste auch Pandur vor fast zehn Jahren im Zuge des Bosnienkrieges seine Heimat verlassen.

Leider bleibt der Fortgang der Handlung hinter dem Bilderreichtum zurück. Die Szenen lösen einander gleichförmig ab und lassen den Zuschauer unbeteiligt zurück. Zwar blickt man die ganze Zeit auf schöne, glänzende, schwitzende Körper in schwarzem Leder, die sich am Gerüst empor- und hinabhangeln, um tief betroffen große Worte auszustoßen, wie „Die Kunst folgt der Philosophie“ oder „Wir sind ohne Schuld, da wir vor Jesus Christus geboren wurden“, doch der Zusammenhang bleibt fraglich und die Spannung leider aus.

Unter der Leitung Vergils tritt Dante in den ersten Höllenkreis mit den gerechten Heiden und ungetauften Kindern, trifft den Dichter Homer und betritt die eigentliche Hölle im zweiten Höllenkreis. Hier werden die Sünder so recht malträtiert und müssen mit den Köpfen nach unten herabhängen. Die Prophezeiung über Dantes Verbannung aus der Vaterstadt münzt Pandur um in die Ankündigung eines großen Krieges: „Wenn ich mich nicht wappne, verliere ich zur ers-ten auch die zweite Heimat.“ Dante trifft auf den mittelalterlichen Dichter Glauson, und ruft zerknirscht aus: „Ich bin nur Vision, Kontemplation. Ich wollte das Epos nicht.“ Das wirkt zu platt und zu eindeutig.

Steigerung findet dieser Ausspruch nur noch durch den Auftritt einer Journalistin (Hildegard Schmahl), die uns mitteilt, dass wir es mit einer Allegorie zu tun haben und Dante die Seele, Vergil den Verstand und Beatrice die Barmherzigkeit verkörpert. Zu einer Begegnung mit Beatrice (Fritzi Haberlandt), Symbol der idealen Liebe, kommt es nicht. Stattdessen darf sich Fritzi Haberlandt mit einer spitzen Feder malträtieren, sonst aber nur mit verzweifelt erhabenem Blick auf einem Kahn ins Licht schippern und mehr recht als schlecht ein Lied anstimmen.

Dazwischen gibt es unnötige Pausen, Höllengeplagte, die im Kreis durchs Wasser waten und Budenzauber veranstalten. Das ist hübsch anzuschauen, wagt sich aber über die Oberfläche selten hinaus. Pandur bestückt sein Theater mit filmischen Anleihen, mythologischen Andeutungen und einem Gemisch aus erotischen Phantasien und Psychotherapie. Doch die Bilder bleiben beliebig. Die erhabenen Dichterworte und die emotionale Musik verbinden sich zum Kitsch. Das Theater der Träume wird stre-ckenweise zum Alptraum.