computerspiele, kulturschock etc.
: Wie man bei einem virtuellen Spaziergang durch New York sich selbst begegnen kann

Unsere kleine Cybercity

Ich habe mir ja noch die Mühe gemacht, vor einigen Jahren selbst einmal nach Amerika zu fahren, um einen Eindruck zu bekommen, was es mit diesem Land auf sich hat. Aber jetzt musste ich einsehen, dass das gar nicht nötig gewesen wäre. Denn nachdem ich mich bei „Pinball“ nur noch übertreffen konnte, wenn ich mich mehrere Stunden warm gespielt hatte, habe ich nun einmal ein anderes Computerspiel versucht und gleich einen Kulturschock erlitten. Es heißt „Driver“.

So wie ich vor meinem neuen Spiel müssen sich die Germanen gefühlt haben, wenn sie aus dem Wald nach Rom kamen und staunend vor dem Colosseum standen. Plötzlich fuhr ich durch New York und war einer der gesuchtesten Verbrecher. Die Cops jagten mir nach, konnten mir aber nichts anhaben, weil ich für mich selbst die physikalischen Gesetze abgeschaltet hatte. Je mehr felonity ich angesammelt hatte, um so aggressiver wurden sie, bis sie wie ein Bienenschwarm angerast kamen, Straßensperren errichteten und mein Auto zu rammen versuchten. Das einzige Unrealistische dabei war, dass die Fußgänger immer wegsprangen, kurz bevor ich sie auf dem Bürgersteig mit 80 km/h überfahren konnte.

Ich machte mir nichts daraus und fuhr über die Brooklyn Bridge, den Broadway hoch Richtung Hell’s Kitchen, auf der Suche nach der Wohnung, in der ich damals bei meinem Aufenhalt in New York gewohnt habe. Je näher ich ihr kam, um so mehr stieg meine Aufregung. Die Häuser sahen originalgetreu aus, sogar die Geschäfte schienen zu stimmen. Es überraschte mich deshalb eigentlich kaum mehr, als ich am Straßenrand mich selbst schlendern sah. Tatsächlich, das Spiel war von 1997, sie hatten mich zufällig mit einprogrammiert!

Ich folgte mir in Richtung Central Park, aber da verschwand ich plötzlich in einem Haus und die Straße hörte auf. Ich hätte mir gern einmal angesehen, was ich da gemacht habe, aber ich konnte ja nicht stundenlang vor dem Haus warten, bis das kleine Jochen-Schmidt-Figürchen mal wieder beliebt herauszukommen. Und weiter kam ich nicht, sie haben den Central Park und Harlem nämlich nicht mitprogrammiert, sondern eine Mauer aus Häusern davor errichtet. Ich muss mir unbedingt die neue Version besorgen, um einmal nachzusehen, was meine Exfreundin auf der Upper-East-Side jetzt so treibt.JOCHEN SCHMIDT