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befreit nicky kelly von den blauhemden

von RALF SOTSCHECK

„Freiheit für Nicky Kelly“ – das war die Parole der irischen Linken Ende der Siebzigerjahre. Der arme Nicky war 1977 zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, weil er ein Jahr zuvor mit mehreren Komplizen angeblich einen Postzug in Sallins bei Dublin überfallen und 200.000 Pfund erbeutet hatte.

Zugüberfälle waren damals in Mode, so dass die Polizei unter Druck geriet. So verhaftete sie, um ihre Ruhe zu haben, drei führende Mitglieder der Irisch-Republikanischen Sozialistischen Partei (IRSP), die zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, weil die Beamten vorsichtshalber Geständnisse aus ihnen herausgeprügelt hatten.

Nicky Kelly hatte sich vor der Urteilsverkündung in die USA abgesetzt. Die beiden anderen traten ihre Haftstrafen an, wurden jedoch im Berufungsprozess freigesprochen. Daraufhin kehrte Kelly nach Irland zurück – und wurde prompt eingesperrt. Die Richter waren offenbar eingeschnappt, weil er geflohen war, und lehnten eine Berufung ab. Vier Jahre später hatte sich ihr Ärger gelegt, Kelly wurde ohne Erklärung freigelassen. Erst 15 Jahre später gestand die irische Regierung das Fehlurteil ein. Es dauerte noch mal acht Jahre, bis er 700.000 Pfund Schadenersatz erhielt – das Dreieinhalbfache der geklauten Summe.

Kelly zog mit seinem Koffer voller Geld nach Arklow, seinen Geburtsort südlich von Dublin, und wurde Lokalpolitiker. Man wählte ihn in den Stadtrat, und fast hätte er es als Parteiunabhängiger bei den Wahlen 1997 ins Parlament geschafft. Sein beachtliches Ergebnis ließ die Parteien aufhorchen, vor allem die größte Oppositionspartei Fine Gael – das heißt „Stamm der Gälen“ – machte sich an ihn heran. Die Stammesgälen haben auch eine illustre Geschichte hinter sich: Die Partei ging in den Dreißigerjahren aus den „Blueshirts“ hervor, was an Braunhemden erinnerte und auch so gemeint war. Die Mitglieder grüßten sich mit ausgestrecktem rechten Arm. General Eoin O’Duffy, der Parteigründer, setzte sich in den Dreißigern für die Pünktlichkeit der Züge ein. Ist Fine Gael deshalb auf Kelly gekommen?

Faschistisch ist Fine Gael inzwischen nicht mehr, sondern nur noch streng konservativ. Wie passt Kelly da hinein? Ein Parteisprecher sagte: „Schließlich haben wir ihn aus dem Gefängnis gelassen und ihm obendrein eine Stange Geld gegeben.“ Die lokalen Fine-Gael-Politiker sind allerdings wütend auf ihren Parteichef John Bruton, weil er sich heimlich mit Kelly getroffen hatte. Der soll ihnen nun als Kandidat für die nächsten Wahlen aufgezwungen werden. Dabei wollen sie selbst an die Fleischtöpfe.

Kelly sagt, er habe nichts dagegen, Fine Gael beizutreten, wenn sie sein Politpaket für Wicklow akzeptieren. Das dürfte der Partei nicht schwerfallen, hat Kelly seine sozialistische Vergangenheit doch längst hinter sich gelassen. „Es gibt viele Zyniker unter den Politikern, aber mir liegt nichts ferner als ein Egotrip“, behauptet Kelly. „Ich will keine persönlichen Vorteile von einem Parlamentssitz.“ Es gehe ihm nur darum, die Infrastruktur in Wicklow zu verbessern, vor allem die Bahnverbindungen. Was hat er bloß vor?

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