Bush ist am Ziel

Zur Einführung kamen so viele Anhänger wie Demonstranten. Bill Clinton begnadigt noch 140 Häftlinge: Leonard Peltier aber ist nicht dabei

aus Washington STEFAN SCHAAF

Am Tag seiner Amtseinführung wurde George W. Bush, dem 43. Präsidenten der USA, noch einmal deutlich sichtbar vorgeführt, dass er auf unübliche Weise an die Macht gekommen ist. Während der traditionellen Parade vom Kapitol zum Weißen Haus hielten ihm Tausende Demonstranten Plakate entgegen, die ihm vorwarfen, die Wahl gestohlen zu haben. „Hail to the thief“ war die häufigste Parole der Protestierer, andere warfen ihm seine Unterstützung der Todesstrafe vor oder warnten vor einer Abschaffung des Rechts auf Abtreibung.

Der Zorn über den Abbruch der Stimmauszählung in Florida durch das Oberste Bundesgericht in Washington überwog bei den Demonstranten, die bei äußerst unangenehmem, nasskaltem Wetter die Bush-Anhänger zahlenmäßig fast übertrafen. Einige wandelten die traditionelle, dem Präsidenten vorbehaltene Begrüßungsformel „Hail to the Chief“ noch weiter ab in „Jail to the thief“ („Knast für den Dieb“) oder spotteten: „Das Volk hat gesprochen – alle fünf Mitglieder“, in Anspielung auf die knappe Mehrheit von fünf zu vier Richtern, die über das Wahlergebnis geurteilt und Al Gore damit trotz eines Vorsprungs von landesweit 540.000 Stimmen um den Sieg gebracht hatten. In Umfragen vom Wochenende teilen etwa 40 Prozent der US-BürgerInnen und über 80 Prozent der Afroamerikaner diese Ansicht.

Es blieb wie angekündigt beim friedlichen Protest der Bush-Gegner, die Polizei meldete fünf Festnahmen und einen Tennisball, ein Ei und eine Apfelsine, die in Richtung Bush geflogen seien. Einige hundert zum Teil vermummte Demonstranten, die sich nicht an die strengen Sicherheitsauflagen halten wollten, wurden von der Polizei durch eine Blockade von der Paradestrecke fern gehalten. Die Anhänger Bushs sahen das Spektakel mit Gelassenheit, die hitzigen Debatten und Sprechchöre, die während der Auszählung in Florida zu hören waren, wiederholten sich am Samstag nicht.

Nur wenige hatten vorher die Vereidigung und Rede George W. Bushs tatsächlich hören können, jenseits der Absperrungen für geladene Zuschauer waren seine Worte für die nassen und frierenden Schaulustigen kaum zu hören. Bush hielt sich an die Tradition, bei der Antrittsrede auf kontroverse Aussagen zu verzichten, er beschwor bürgerliche Tugenden wie Mut und Mitgefühl und verkündete hehre Anliegen wie die Reform der Schulen, der Sozialversicherung und die Senkung der Steuern. Am Nachmittag unterzeichnete er im Kapitol die Ernennungsurkunden für die ersten sieben Kabinettsmitglieder, darunter Außenminister Colin Powell und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Schon am Dienstag will er dem Kongress seine Vorschläge zum Erziehungswesen unterbreiten, darunter den Plan, Eltern, die ihre Kinder auf private Schulen schicken wollen, mit Gutscheinen bei den Kosten zu unterstützen.

Bill Clinton fiel der Abschied vom Weißen Haus sichtlich schwer. Er habe die letzte Nacht ohne Schlaf verbracht, gab er zu. Am Morgen empfing er seinen Nachfolger, und während des Amtseids standen Clinton und Al Gore mit auf dem Podium.

Zwei Stunden vor dem Ausscheiden aus dem Amt hatte Clinton noch eine Reihe von Begnadigungen ausgesprochen, darunter für seinen Bruder Roger, für Susan McDougal, seine Geschäftspartnerin im Whitewater-Immobiliengeschäft, für den ehemaligen CIA-Chef John Deutch, der wegen fahrlässigen Umgangs mit Geheimdokumenten unter Anklage stand, für den ehemaligen Wohnungsbauminister Henry Cisneros und – überraschend – für die in den 70er-Jahren entführte und wegen Bankraubs verurteilte Zeitungserbin Patty Hearst. Enttäuscht wurden die Hoffnungen der Unterstützer Leonard Peltiers, eines Lakota-Indianers, der seit 25 Jahren wegen Mordes an zwei FBI-Beamten inhaftiert ist und an dessen Schuld stets große Zweifel bestanden. Amnesty international und eine Reihe internationaler Prominenter hatten sich für seine Freilassung eingesetzt, das FBI lautstark davor gewarnt. Clinton habe nie ernsthaft erwogen, Peltier zu begnadigen, sagten Mitarbeiter.

Auch Webster Hubbell, Hillary Clintons Anwaltskollege in Arkansas, der Junk-Bond-König Michael Milken und der wegen Spionage für Israel verurteilte Jonathan Pollard fanden keine Gnade vor Clinton. Doch er wandelte die Strafe des wegen Mordes zum Tode verurteilten Bundesgefangenen David Ronald Chandler in lebenslängliche Haft um.