Hoffnung, aber keine Ziele

Vor dem heutigen Auftaktspiel gegen die USA bei der Handball-Weltmeisterschaft in Frankreich weiß selbst Bundestrainer Heiner Brand nicht recht, wo sein „krass“ umstrukturiertesTeam eigentlich steht

von FRANK KETTERER

So weit ist es denn doch noch nicht gekommen mit dem deutschen Handball: dass der Bundestrainer hinauf ins frostige Grönland reisen muss, um dort Spielbeobachtung beim letzten Vorrundengegner der heute in Frankreich beginnenden Weltmeisterschaft zu betreiben. Jedenfalls wackelt Deutschlands wohl bekanntester Schnauzbart neben dem vom Fußballkollegen Rudi Völler allein bei dem Gedanken an handballernde Eskimos schon vor Vergnügen, ehe der dahinter versteckte Mund einen Satz von sich gibt, der bei aller Eindeutigkeit keinesfalls despektierlich klingen soll. „Egal welche Probleme wir haben sollten“, sagt Heiner Brand dann schließlich, „Grönland sollten wir schlagen.“ Und möglichst schon zum heutigen Gruppen-Auftakt in Besançon auch die USA (18.30 Uhr), wie Grönland von Brand bisher unbeobachtet.

Ansonsten hält sich der Bundestrainer mit Prognosen vornehm zurück, was für die restlichen Gruppenspiele gegen Südkorea (Mittwoch), Kroatien (Donnerstag) und Spanien (Samstag) ebenso gilt wie fürs durchaus wahrscheinliche Achtelfinale, zu dem ja schon Platz vier in der Gruppe reicht. „Ich kann die Lage ja selbst nicht richtig einschätzen“, sagt Brand da nur.

Was nicht weiter wundert, bedenkt man, wie sehr die deutsche Mannschaft ihr Gesicht verändert hat seit dem ebenso knappen wie schmerzlichen Viertelfinal-Aus gegen Spanien im Sommer bei Olympia. Der lange Volker Zerbe ist zurückgetreten, ebenso Bogdan Wenta und Bernd Roos; zudem längerfristig verletzt gemeldet haben sich Abwehrchef Klaus-Dieter Petersen sowie einmal mehr Daniel Stephan, immerhin einst Welthandballer. So bleiben Brand für die WM in Frankreich alles in allem ganze sieben Spieler, die schon in Sydney mit von der Partie waren; kein Wunder also, dass der 48-Jährige von einem „krassen Umbruch“ spricht, „zu dem wir gezwungen wurden.“

Da scheint es nur angeraten, die WM-Erwartungen auf ein Mindestmaß herabzudimmen, selbst dabei bleibt Brand vage. „Ich habe große Hoffnung, aber keine Ziele“, fabuliert er, weil eben nach wie vor viele Unwägbarkeiten im neu geformten Kader stecken – auch für Brand. „Wir fangen ja quasi von vorne an“, sagt der Bundestrainer und auch, „dass das normalerweise eine gewisse Zeit braucht“. Die hat man ihm – Umbruch hin, Umbruch her – erneut nicht gelassen, ganze 15 Trainingseinheiten durfte Brand für die WM üben. Um eine Mannschaft richtig einzuspielen, reicht das nicht, so viel steht jedenfalls fest. „Ich hoffe, dass wir manche Dinge einfach überspielen können“, sagt denn auch der Bundestrainer.

All zu lange bereit scheint der gelernte Versicherungskaufmann aus Gummersbach dazu nicht mehr zu sein. Nächstes Jahr läuft sein Vertrag mit dem Deutschen Handball-Bund (DHB) aus, schon jetzt macht er sich „so meine Gedanken“ über die Zukunft. Das Ausland findet Brand „durchaus reizvoll“, auch aus der Bundesliga soll es die ein oder andere interessante Anfrage geben. Das ist gut so, schon weil der weltweit anerkannte Fachmann dadurch auf ein Druckmittel gegenüber dem nationalen Liga-Verband zurückgreifen kann, der seine allemal verbesserungswürdigen Arbeitsbedingungen maßgeblich mitdiktiert. „Ich habe nie gesagt, dass ich nicht als Bundestrainer weitermache“, sagt Brand also – und stellt dafür nun seinerseits Bedingungen. „Beide, Liga und Nationalmannschaft, müssen in eine Richtung gehen“, fordert der 48-Jährige; ein für allemal satt hat es Brand ganz offenbar, sich „in Kämpfen um Termine aufreiben zu müssen.“

Dabei sieht der Bundestrainer die Zukunft des deutschen Handballs gar nicht mehr so schwarz, wie sie lange Zeit in einer von Ausländern geprägten Bundesliga schien. So hat Brand mittlerweile sogar den Eindruck gewonnen, „dass es wieder modern wird, mit jungen, deutschen Spielern zu arbeiten“, und sei es wegen wirtschaflicher Gründe wie bei der SG Wallau-Massenheim, von der Brand gleich den kompletten Rückraum mit Steffen Weber, Jan-Olaf Immel und Christian Rose ins Aufgebot berufen hat, wenn zunächst auch nur als zweite Garnitur.

Spieler wie diese sind es, die Brand meint, wenn er von einem „gewissen Hoffnungsschimmer“ redet. Den hellsten davon hat er in Frank von Behren bereits zu seinem neuen Mannschaftskapitän erkoren. Der 24-Jährige aus Minden, der gemeinsam mit Spielmacher Markus Baur (HSG Wetzlar) und Jörg Kunze wohl die Stammformation im Rückraum bilden wird, gilt Brand als „Zeichen für die junge Generation, dass auch sie es zum Stammspieler in der Nationalmannschaft bringen kann“, auch wenn das bei manchem sicher noch seine Zeit dauert.

Dass die WM für den ein oder anderen noch etwas zu früh kommt, findet Heiner Brand schon deswegen zwar bedauerlich, sieht andererseits genau darin aber auch die Chance, „für manche Spieler schon ein Jahr früher internationale Erfahrungen zu sammeln“. Zumindest für einen Sieg gegen Grönland sollte es jetzt schon reichen.