NGOs auf der Hut

Russlands Menschenrechtler stehen weiter autoritären Strukturen gegenüber. Dennoch fasst Zivilgesellschaft Fuß

MOSKAU taz ■ Auch im rauen russischen Klima gedeihen zarte Pflanzen, meint Oleg aus Tscheljabinsk. Wenn sie den Kampf mit den Naturgewalten überstanden haben, seien sie unverwüstlich. Besitzt das zarte Gewächs der russischen Zivilgesellschaft eine Chance zu überleben?

Nicht alle Teilnehmer des außerordentlichen Kongresses zum Schutz der Menschenrechte würden dem Aktivisten aus dem Ural zustimmen. Aber wohl doch eine Mehrheit. Die Veranstaltung hat gezeigt, dass sich erste Umrisse einer Bürgergesellschaft auch in Russlands fernen Provinzen erkennen lassen. Tausend Vertreter von NGOs aus 64 der 89 russischen Provinzen waren am Wochenende nach Moskau gekommen. Ihre Sorge gilt dem Abbau demokratischer Rechte, seit Putin das Präsidentenenamt übernommen hat. Die „Vertikale der Macht“ und die „Diktatur des Gesetzes“ laufen darauf hinaus, Kompetenzen aus der Gesellschaft herauszulösen und in die Allmacht des Staates zurückzuverlagern. Deutlich sei die Tendenz erkennbar, den Kreml zum Motor einer autoritären Modernisierung zu machen. Darin waren sich alle einig. Durch Koordination und Bildung von Netzwerken hoffen die NGOs, dieser Bedrohung zu begegnen. Zumindest hilft die Vernetzung, an Informationen heranzukommen. Denn die, so klagten Vertreter aus Jekaterinburg, flössen immer spärlicher. Staatliche Strukturen schotten sich zunehmend ab.

Wie wenig Kremlchef Putin an Initiativen seiner Bürger gelegen ist, demonstrierte er bereits im Sommer. Damals löste er den Konsultativrat beim Präsidenten auf, dem Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche angehört hatten. Ähnliche Motive stecken wohl auch hinter Versuchen, durch das Anziehen der Steuerschraube Bürgerinititiven den Garaus zu machen oder ihnen die Registrierung beim Justizministerium zu verweigern. Nicht alle Sanktionen müssen vom Kreml verordnet worden sein: vielmehr ermutige der autoritäre Regierungsstil die Bürokratie dazu, Bürgerrechte nach Gutdünken einzuschränken.

Bei der Regierungszeitung Rossiskaja gaseta, berichtete eine Journalistin, stünden Verfassungsrechte der Bürger auf einem Index. Die Mitarbeiter sind angehalten, solche Fragen nicht aufzugreifen. Darunter fällt auch der alternative Wehrdienst. Stattdessen wird in Provinzschulen der Wehrunterricht ausgebaut.

Widerstand kündigten die Menschenrechtler auch gegen das neue Parteiengesetz an, womit sich die Duma diese Woche befassen wird. Der Entwurf sieht vor, kleinen Parteien das Existenzrecht zu entziehen, um ein Zwei- oder Dreiparteiensystem zu etablieren. Der russische Vertreter beim Europarat, Sergej Kowaljow, kommentierte das Gesetz lakonisch: „Länder mit einem Zwei- oder Dreiparteiensystem begrenzen nicht die Zahl der wahlberechtigten Parteien.“ Der Exdissident war eine der pessimistischeren Stimmen des Kongresses, dessen Titel „tschreswytschainij“ sich ins Deutsche mit „außerordentlich“, aber auch mit „Notstand“ übersetzen lässt.

KLAUS-HELGE DONATH