wahnsinn
: Die Grüne Woche, ein Bauernparadies

Peitschenshows, Melkroboter und Kannibalen

Den Weg zur „Grünen Woche“ zu finden ist nicht schwer. Am U-Bahnhof Kaiserdamm muss man einfach den Gruppen von Jungbauern folgen. Die jungen Männer sind leicht zu erkennen: Sie tragen Lodenjacken und dunkelgrüne Cordhosen. Die meisten können eine Dialektsprache.

Die alten Bauern sind dicker und reiten auf stämmigen Pferden im Parcours der Halle 26 umher. Häufig machen sie laute Peitschenshows. Dazu juchzen sie volkstümlich. Viele Berliner Großstadtbewohner kommen überhaupt nur wegen dieser unterhaltsamen Bauern auf die Messe. Nach den Peitschen wollen sie mehr von Landwirtschaft erfahren. Manche lassen sich an einem Stand zu einem Abonnement der Bauernzeitung überreden. Andere bummeln neugierig zum Erlebnisbauernhof.

Hier setzt allerdings Ernüchterung ein. Denn der Melkroboter sieht mehr als grob aus. Der offene Vorzeigestall ist auf unromantisch hohem technischem Niveau. Heu gibt es nicht. Die Kühe liegen auf Gummimatten zwischen einer Art Stahlzaun. In der modernen Konstruktion wirken die großen Tiere besonders weich und hilflos. Viele Eltern schicken schnell ihre Kinder weg. Diesen Anblick hätte man sich gern erspart.

Die Kälber nebenan erscheinen anpassungsfähiger. Sie sind von Muttertier unabhängig und trinken „Milkivit Milchaustauscher“. An der dazugehörigen Maschine steht „Die computergesteuerte Tränke erkennt das Tier und gibt die entsprechende Menge frei“.

Tiere auf dem Bauernhof kommen anscheinend generell besser ohne ihre Verwandten zurecht. „Die häufigste Ursache für den Tod von Ferkeln ist das Erdrücken durch die Sau“, sagt die nächste Schautafel. Deswegen werde das schwangere Tier „in modernen Abferkelbuchten kurz vor dem Abferkeln aufgestallt“. Das Resultat dieses komplizierten Verfahrens sind die schön lebendigen Ferkel in Halle 3. Sie stehen auf einem blauen Plastikboden und dürfen sich unter einer blauen Heizlampe wärmen.

Dass das Landleben indes auch unter EU-Kriterien nicht leichter wird, zeigt der schreckliche Hühnerkäfig. Angeblich haben die 16 Vögel jetzt fast doppelt so viel Platz wie in herkömmlichen Legebatterien. Wer das gesehen hat, möchte auch bei der netten Frau im hinteren Teil der Halle kein Bauern-Dirndl mehr kaufen. Gegen den Vertreter vom „Fachmagazin für den Agrarmanager“ würde man gerne Anzeige erstatten. Die Anlage der „satellitengesteuerten Pflanzendüngung“ wirkt auch nur böse.

Die Bauern selbst haben jedoch gute Laune. Sie genießen die Volksmusik aus den Lautsprechern. Der Mann vom „Bundesverband Deutscher Fleischrinderzüchter & -halter“ konstatiert: „Die BSE-Panik beruhigt sich.“

Und auch ein Angehöriger des bayrischen Bauernverbandes findet, die Gefahren der modernen Tierhaltung würden ständig „hochgespielt“. In Neuguinea gebe es immerhin Kannibalen mit einer ähnlichen Krankheit. Während des Gesprächs kippt der Mann mehrmals beinahe um. Wie alle Besucher der Landwirtschaftsmesse ist er ein wenig betrunken.

KIRSTEN KÜPPERS