Richterin lässt Nackte laufen

Der erste Prozess gegen Gelöbnisgegner, die am 20. Juli 1999 unbekleidet durch den Bendlerblock rannten, ist eingestellt: Denn eine Militärzeremonie ist keine Versammlung und Flitzen keine Straftat

von WIBKE BERGEMANN

Nackt bei einem öffentlichen Bundeswehrgelöbnis über den Platz zu laufen, ist „grober Unfug“ – und keine Straftat. So urteilte gestern das Amtsgericht Tiergarten. Es stellte das Verfahren gegen eine 24-jährige Studentin ein, die am 20. Juli 1999 die Militärzeremonie gestört hatte.

Kurz nach dem Kosovokrieg hatten sich knapp 20 Störer trotz erheblicher Sicherheitsmaßnahmen unter die Zuschauer der Veranstaltung gemischt. Mit Trillerpfeifen und Regenschirmen, auf denen „Tucholsky hat Recht“ und „Bundeswehr abschaffen“ geschrieben war, liefen sie auf den Platz – teilweise nur mit Unterhose und Schuhen bekleidet.

Gegen 18 Kriegsgegner waren daraufhin Strafbefehle von bis zu 90 Tagessätzen erhoben worden. Drei von ihnen fielen unter das Jugendstrafrecht. Die anderen – auch nicht viel älter – legten Widerspruch ein. Das gestrige Urteil ist das erste und könnte zum Präzedenzfall werden.

Zunächst war den Störern Hausfriedensbruch und Urkundenfälschung vorgeworfen worden: Angeblich hatten sie sich mit gefälschten Einladungskarten Eintritt zu der Veranstaltung verschafft. Doch die Ermittlungen wurden wegen zu geringer Beweislage eingestellt. Nun lautet die Anklage, um die es auch gestern ging, Verstoß gegen das Versammlungsrecht.

Die Richterin sah diesen Vorwurf jedoch nicht bestätigt. Sie schloss sich der Argumentation der Verteidigung an, eine militärische Zeremonie sei keine öffentliche Versammlung. Regine Götz, die Anwältin der Beklagten, hatte darauf hingewiesen, dass das Versammlungsrecht die Bürger vor Eingriffen durch den Staat schützen solle. Das Grundgesetz sehe vor, dass Bürger sich friedlich und ohne Waffen versammeln können.

Der grobe Unfug, als den die Richterin die Aktion beurteilte, ist seit 1975 keine Straftat mehr, sondern bloß eine Ordnungswidrigkeit. Und die ist im Fall der Gelöbnisstörer verjährt.

Die Richterin betonte gestern allerdings, die ungewöhnliche Form des Protests sei durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt: Man könne seine Meinung nicht an jedem Ort und mit jedem Mittel kundtun. Durch „das nackige und mit roter Farbe beschmierte Herumlaufen“ sei die Allgemeinheit belästigt worden, entschied die Richterin. Ein als Zeuge geladener Feldjäger hatte berichtet, dass auch die Zuschauer sich durch die Aktion gestört gefühlt hätten und jedesmal applaudierten, wenn die Soldaten einen Kriegsgegner forttrugen: „Als der mit dem Schirm auf dem Boden aufschlug, gab es Applaus.“

Einem Mitangeklagten wurde außerdem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zur Last gelegt. Der 25-jährige Student hatte sich bei seiner Festnahme durch die Soldaten mit Schlägen und Tritten zur Wehr gesetzt. Das Amtsgericht verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 750 Mark. Eine Körperverletzung der Feldjäger schloss die Richterin jedoch aus. Sie erinnerte an die Aussage eines Zeugen, als Feldjäger könne er so etwas wie blaue Flecke schließlich ab.