Graswurzelbewegung ohne Grenzen

Weder Jazz noch Jam: Das Groove-Trio Medeski, Martin & Wood glaubt nicht an Genre-Kategorien, sondern vertraut auf den Pakt mit dem Publikum. Jahrelang zogen sie mit dem Campingbus durch US-Collegestädtchen, um sich den Erfolg zu erspielen. Nun sind sie erstmals in Deutschland auf Tour

Der Durchbruch kam, als die Band Phish in der Pause eine MM&W-Platte spielte

von CHRISTIAN BROECKING

„Leute, die auf MM&W stehen, haben vom Jazz erst mal null Ahnung“, sagt John Medeski von Medeski, Martin & Wood. Die MM&W-Sozialisation verlaufe vielmehr über die Jam-Bewegung – also über rockorientierte Gitarrenbands, die im Zwei-Akkorde-Freistil der Endsechziger endlos improvisieren.

Der Ruhm, den sie heute in der Jam-Szene genießen, kam für MM&W allerdings eher unverhofft: Als die Jam-Band Phish, die in der Nachfolge von Greatful Dead zigtausende Dead Heads zu ihren Gigs zieht – man munkelt, dass allein bei ihrem Silvesterkonzert vor drei Wochen an die 150.000 Leute da waren – in einer Konzertpause eine Platte von MM&W spielen ließ, leitete das den Durchbruch ein. Das war im Sommer 1996, und seitdem scheffeln auch MM&W: 2.000 zahlende Besucher sind heute keine Seltenheit mehr für das New-Yorker Avantgarde-Dance-Trio, das jahrelang mit einem Campingbus durch amerikanische Collegestädtchen tourte, um sich ein eigenes Publikum heranzuziehen. Das Besondere am Jam-Phänomen ist ja, dass die Kommunikation und Promotion ausschließlich über das Internet laufen. Bands wie Phish werden nicht im Radio gespielt – vor diesem Hintergrund betrachtet, beeindrucken die Besucherzahlen besonders.

John Medeski allerdings hält die Bezeichnung Jam für diskriminierend, weil dem Begriff, im Gegensatz zum Jazz etwa, jegliche Abstraktheit fehle – womit das Klischee mobilisiert werde, dass, musikalisch gesehen, wohl nicht viel los sei. Medeski sieht sich und sein Trio weder als Jam- noch als Jazzband: Er will bewusst offen halten, wo die Entwicklung hingeht. Dabei ließe sich vielleicht einwenden, dass MM&W ihre bislang besten Momente als Begleitband hatten: etwa bei der CD des Jazzgitarristen John Scofield „A Go Go“, mit dem sie vor zwei Jahren schon mal für zwei Gigs in Europa waren.

Von einer missglückten Tour durch einige kleine Off-Clubs vor sechs Jahren einmal abgesehen, ist das Trio MM&W nun aber zum ersten Mal in Deutschland auf Tour. Dass sie hier bislang kaum bekannt sind, ist die andere Seite der amerikanischen Jazzexportindustrie. Denn im Unterschied zu den vielen Kollegen aus der New Yorker Downtown-Szene, die sich darauf spezialisiert haben, auf den europäischen Festivals zu landen, ohne sich in den USA einen Namen gemacht zu haben, repräsentieren MM&W zunächst das typisch amerikanische Phänomen der vom Greatful-Dead-Ideal geprägten Grassroot-Indie-Bands und -Labels. Das größte Versäumnis der amerikanischen Jazzszene sieht John Medeski darin, sich kein Nachwuchspublikum herangebildet zu haben. Das Starren auf den europäischen Festivalzirkus habe den Blick auf die Entwicklung einer eigenen Infrastruktur verzerrt.

Vom Neotraditionalisten Wynton Marsalis, dem es gelang, mit klassischem Jazz ein neues Publikum zu rekrutieren, redet Medeski dagegen heute mit großem Respekt. Vor fünfzehn Jahren, als er ihn zum ersten Mal traf, war das noch anders. Und auf der MM&W-CD „Combustication“ hatte es vor zwei Jahren noch ein Anti-Wynton-Poem des blinden Spoken-Word-Aktivisten Steve Cannon mit dem Titel „Whatever Happened To Gus“ gegeben. Die darin geäußerte Kritik an Marsalis deklariert Medeski heute als Ausdruck künstlerischer Freiheit, die nicht unbedingt die Meinung des Trios widerspiegele. Dass der US-Jazz zu einem Museumsfall geworden sei, obwohl gerade in dieser Musik doch das größte impovisatorische Potenzial vorhanden ist, das sei, so Medeski heute, jedenfalls nicht Wynton Marsalis in die Schuhe zu schieben, sondern vor allem eben den Musikern, die den Anschluss an das heimische US-Publikum verpasst hätten.

Klar klingen auch MM&W very rooted. Da ist die Lounge-Lizards-Erfahrung, da schwirren Ideen von John Lurie und John Zorn durch die Tracks, da gibt es Fela-Kuti-Grooves und Versatzstücke aus dem Blue-Note-Katalog der Sechziger. Auf der neuen MM&W „The Dropper“ ist der heute 76-jährige Leiter des Sun Ra Arkestra, der Saxofonist Marshall Allen, für einen kleinen Gastauftritt engagiert worden. Und Medeski gibt zu Protokoll, dass die Space Grooves eines Sun Ra für ihn bis heute prägend und mobilisierend sind.

Kurz vor ihrer neuen CD erschien mit dem Album „Tonic“ eine völlig ungewohnte, so genannte akustische MM&W-Aufnahme mit Klavier, Bass und Schlagzeug, die im gleichnamigen Club in New York aufgenommen wurde. Das „Tonic“ ist ein kleiner Downtown-Laden, in dem auf Initiative von John Zorn das Programm von jeweils einem Musiker gestaltet und organisiert wird. Neben der Arbeit mit MM&W macht John Medeski aber noch allerhand andere Jobs. Seit kurzem ist er künstlerischer Berater des Ropeadope-Labels, das die Szenen aus Philadelphia und Boston vorstellen will. Vor allem aber ist Medeski stolz auf seine Mitwirkung am Susana-Baca-Album „Eco De Sombras“. Im New Yorker Sommer trat die afroperuanische Sängerin im schick-teuren Joe’s Pub mit einer Traumbesetzung auf: Zu ihrer Band kamen Medeski, der Gitarrist Marc Ribot und der Ex-Talking-Head David Byrne auf die Bühne, womit dann auch die prominent-illustre Besetzung von Bacas Album anwesend war (siehe taz vom 8. 1.). Die Baca-Erfahrung bezeichnet Medeski, musikalisch und rhythmisch gesehen, als bisher größte Herausforderung seiner Karriere. Nach den Aufnahmen sei er einen Monat lang deprimiert gewesen, so verdammt gut seien Baca und ihre Band gewesen. Marc Ribot habe sogar seinen Scheck zurückgeschickt.

Tournee: 24. 1. Köln, 29. 1. Berlin, 30. 1. Hamburg