Generation Mescalero

Klammheimliche Freude (I): Nie war es leichter, das coole Märtyrersein zu erproben

Cool wie ein Mescalero sein, das war etwas, was in den späten Siebzigerjahren auf den verborgenen Wunschzetteln eines Pubertierenden stehen konnte. Wer damals zur Schule ging und noch einige Klassen über sich hatte, deren Mitglieder abschätzige Blicke auf einen warfen, für den kam die Sache mit der klammheimlichen Freude jedenfalls gerade recht.

In der aktuell etwas aufgeheizten Debatte ist es vielleicht nicht ganz unwichtig, sich daran zu erinnern, mit welchen Gefühlen man damals den Buback-Nachruf las. Raunend war er einem zugesteckt worden. Irgendetwas hatte das alles mit Mutprobe zu tun. Man las diesen Zettel mit den vielen Namen am Anfang und der merkwürdig ernsten Sprache unter der Tischplatte. Man las ihn unauffällig natürlich, aber – wollen doch mal sehen! – so betont unauffällig, dass der Lehrer einfach etwas mitbekommen musste. Schon bei der Vorstellung, dass er wirklich etwas mitbekam, machte sich Angstlust breit.

Es gab, muss man wissen, damals noch Lehrer, die im Zweiten Weltkrieg im U-Boot gekämpft hatten. Wenn sie den Nachruf bei einem entdeckten, war Aufmerksamkeit garantiert. Nie war es leichter, das Märtyrersein zu erproben. Wirkliche Folgen hatte die Lektüre eines echt verbotenen Flugblatts natürlich nicht; dazu war man noch zu jung und wusste das auch. Aber immerhin: Im Hackordnungskampf gegen die oberen Klassen auf dem Schulhof, so dachte man sich das, hatte man Punkte gutgemacht.

Etwas anderes war es, die so genannten kritischen Lehrer das Flugblatt bei einem entdecken zu lassen; sie brachte man in Verlegenheit. Vom Direktor waren sie, so denken wir uns das heute, zum energischen Einschreiten verdonnert worden – Lehrerkonferenz! Auf der anderen Seite aber war ihnen der Direktor viel zu konservativ. Außerdem hatten sie abends beim Bier in der Kneipe für Sympathisantenhetze nichts übrig. Der lange Marsch durch die Institutionen wird viele Lehrer zur Frage geführt haben, wie mit pubertierenden Jugendlichen umzugehen sei, die halb ängstlich, halb erwartungsfroh das zerknitterte Buback-Flugblatt in der Hand hielten.

Generation Mescalero? Die gegenwärtig grassierenden Distanzierungsforderungen könnten einen dazu bringen, noch mal darüber nachzudenken.

DIRK KNIPPHALS