Die neuen und die alten Hausherren

Beit Dagan, erklären die jüdischen Siedler, war nie arabisch. Warum der Ort einst Bet Dadschan hieß und Abd-el Fatachs Familie hier Zitrusplantagen besaß, erklären sie nicht

aus Jericho SUSANNE KNAUL

Schräg gegenüber von der Grundschule in dem palästinensischen Flüchtlingslager Aqabat Jabr hat Mohammad Abd-el Fatach Hamse seinen kleinen Laden. Auf drei schmalen Regalen bietet er Hefte und Bleistifte, Schokoladenriegel und Kaugummis an. In der Ecke steht ein Kühlschrank, den er nicht besonders liebevoll mit den Bildern von arabischen Popsängern beklebt hat.

Das beste Geschäft macht Abd-el Fatach während der Pausen, wenn sich die uniformierten Kinder vom Schulhof stehlen, um für ein paar Pfennige etwas Süßes zu erstehen. Wenn keine Schule ist, fährt Abd-el Fatach mit einem Handwagen durch das Flüchtlingslager und bietet seine Waren an, auch wenn ihm das durch seine schwere Gehbehinderung nicht leicht fällt. Die Familie braucht jeden Schekel. Abd-el Fatach besitzt außer seinem kleinen Laden, der vielleicht zwei mal zwei Meter misst, noch ein ähnlich großes Zimmer, in dem zwei Feldbetten stehen, dazwischen der alte Handwagen, Decken und aufgestapelte Holzlatten. Die 13-jährige Tochter schläft bei den Großeltern nebenan. Gekocht wird auf dem kleinen Hof vor der Baracke, die dringend sanierungsbedürftig ist. „Wenn es einmal richtig regnet, dann bricht alles zusammen“, sagt er. Die Fenster sind provisorisch mit Pappe vernagelt, an den Wänden haben mehrere Einschüsse tiefe Löcher hinterlassen. „Das waren die Siedler“, erklärt Abd-el Fatach Hamse. „Sie schießen manchmal auf uns runter.“

Aqabat Jabr liegt am Stadtrand von Jericho. Die jüdischen Siedler von Vered Jericho wohnen auf dem nahen Hügel, davor ist eine Militärstation an der Hauptstraße, und vis-a-vis erhebt sich die riesige Anlage eines Luxushotels, daneben das Spielcasino der Stadt. Die Familie von Abd-el Fatach kam 1948 in das Flüchtlingslager. Aqabat Jabr war damals eine Zeltstadt.

Inzwischen wohnen die Leute in Steinbaracken, und die Wege sind größtenteils asphaltiert. Wer das Geld dazu hat, baut sich ein richtiges Haus. Überall in dem Lager stehen halbfertige Bauten. Für Abd-el Fatach kommt ein Neubau aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Dabei gehörten seine Eltern einst zu den Wohlhabenden der Region. In dem heute israelischen Beit Dagan – arabisch Bet Dadschan – hatten sie Ländereien und Zitrusplantagen. „Wir wissen, dass es unmöglich ist, nach Bet Dadschan zurückzukehren“, sagt Mohammad. „Es würde bedeuten, dass einer sterben muss. Wir, Israelis und Palästinenser, können nicht zusammenleben.“ Der Preis für die Rückkehr sei hoch, meint er. Dazu wären „zu viele Opfer notwendig“. Und doch unterstützt Abd-el Fatach Hamse die neue Intifada, den neuen Kampf seines Volkes, denn „sie verschafft uns eine Stimme in den Ohren der Welt“.

Die Friedensverhandlungen des vergangenen Sommers in Camp David scheiterten unter anderem an dem Konfliktpunkt Flüchtlinge. Israel ist nur bedingt bereit, Flüchtlinge im Rahmen einer Familienzusammenführung in ihre Heimat zurückzulassen, und fordert von den Palästinensern schlicht Verzichtserklärungen. „Ein Frieden mit Israel bedeutet für uns das Ende aller Hoffnungen“, sagt Abd-el Fatach. Fast alle Flüchtlinge glauben auch nach über 50 Jahren noch immer an eine Rückkehr in ihre Heimat. Für Israel ist jedoch die Rückführung von über drei Millionen Palästinensern allein aus demografischen Gründen undenkbar – es würde das Ende des Judenstaates bedeuten. In der Flüchtlingsfrage besteht in Israel ein fast alle Parteien umgreifender Konsens. Wenn es an die „raison d’être“ des Staates geht, sind selbst die linken Friedensaktivisten nicht mehr zu Kompromissen bereit.

Nur wenige hundert Meter von Abd-el Fatachs Baracke entfernt liefern sich Demonstranten und Soldaten fast jeden Abend Gefechte. Sieben „Märtyrer“ hat Jericho seit Beginn der Unruhen Ende September zu betrauern, davon kommen drei aus Aqabat Jabr. Die jungen Demonstranten aus dem Lager kämpfen für ihre eigene Sache. Ob Ausgleichszahlungen eine Lösung sein könnten? „Ich sage nicht Nein, wenn sie mir Wiedergutmachung zahlen wollen“, sagt Abd-el Fatach. „Aber selbst wenn sie mir eine Million Dollar dafür geben, werde ich Bet Dadschan nicht vergessen. Ich werde das Geld nehmen und weiter an mein Haus denken.“

Von dem Gut seiner Eltern ist heute nicht mehr viel übrig. In Beit Dagan stehen nur noch 40 Häuser, die vor 1948 von der damaligen arabischen Bevölkerung gebaut worden sind. Alle anderen sind von den neuen Bewohnern, überwiegend jüdische Einwanderer aus dem Jemen und aus Marokko, errichtet worden. Beit Dagan liegt etwa 15 Kilometer südöstlich von Tel Aviv und nur wenige Minuten mit dem Auto vom Flughafen Ben-Gurion entfernt. Auf die Frage, ob es eine Moschee in dem Ort gibt, reagiert der Inhaber eines kleines Lebensmittelgeschäftes zornig. „Wenn du von Bezelem (einer israelischen Menschenrechtsorganisation) kommst, dann zeige ich dir, wo die Tür ist“, sagt er. Eine Moschee gebe es in Beit Dagan nicht und habe es nie gegeben. Auch in dem Viertel, in dem die arabischen Häuser stehen, erinnert sich keiner gern daran, dass Beit Dagan einmal ein arabisches Dorf war. „Hier waren niemals Araber“, sagt ein Mann, bei dem es, glaubt man dem Werbeschild über der Hofeinfahrt, „billigste Baumaterialien“ zu kaufen gibt. „Was redest du für einen Unsinn?“ Jeden Tag gebe es neue Terroranschläge, „von mir aus sollen sie alle im Meer ersaufen“. Eine Lösungsmöglichkeit, die, umgekehrt, auch Abd-el Fatach schon ins Auge gefasst hatte.

Die arabischen Häuser liegen an einer Straße, die inzwischen den Namen Seew Jabotinsky trägt, nach dem polnischen Zionisten und Mentor späterer konservativer Premierminister benannt, wie Menachem Begin und Yizhak Schamir. Die Gebäude sind alle bewohnt. Schmuel Awraham ist nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg mit seinen Eltern nach Beit Dagan gekommen. „Die Regierung hat die Einwanderer hier angesiedelt“, erklärt der Fleischer. Ohne seine blutige Schürze abzunehmen, ist er schon am frühen Vormittag auf ein Bier zu seinem Nachbarn, einem Gemüsehändler, gekommen. „In unserer Stadt ist kein Platz. Wohin sollten sie denn?“ Natürlich gebe es auch andere, gute Araber, räumt Awraham ein. Er selbst habe ein paar sehr gute arabische Freunde. Aber die Palästinenser brächten nur Unfrieden. „Wenn sie hier wohnen, hätten sie nur einen kürzeren Anfahrtsweg zu ihrem Terroreinsatz in Tel Aviv“, sagt der Fleischer. Der dunkle Endvierziger ist unrasiert und das Bier in seiner Hand offenbar nicht das erste, das er an diesem Morgen konsumiert. Seine Nachbarn stören sich nicht daran. „Wenn sie kommen, werden wir sie mit Steinen empfangen, genau wie sie uns“, sagt Awraham. Palästinenser in Beit Dagan? Niemals. Einer in dem Gemüseladen sagt, was alle hier zu denken scheinen: „Entweder wir oder sie.“