: Vom Spezialistentum der Täter
Eyal Sivans Ein Spezialist und eine Diskussion am 27.1. ■ Von Christiane Müller-Lobeck
Was macht einen Nazi-Täter zum Nazi-Täter? Dieser Frage rückte Eyal Sivan 1999 mit Ein Spezialist über den Prozess gegen Adolf Eichmann filmisch zu Leibe. Der Dokumentarfilm entkleidete den Fall Eichmann fast gänzlich seiner historischen Einzigartigkeit, indem er das Original-Videomaterial komplett neu bearbeitete. Viele Kritiker sprachen damals davon, der Regisseur habe ein richtiges Courtroom-Drama gemacht.
Tatsächlich: Sivan erzeugte den Eindruck, es habe Kamera-schwenks gegeben, verwendete Slow Motion, zog alle Register der elektronischen Bearbeitung, setze ausgiebig Musik ein und ließ nachträglich Geräusche erzeugen – beispielsweise das Kratzen eines Stiftes auf Papier –, um die gewünschte Bildaussage zu unterstützen. Die Dramatisierung zielte vor allem darauf ab, die verzweifelten Anstrengungen des Staatsanwalts Gideon Hausner ansichtig zu machen, Eichmann auch nur einen einzigen Mord nachzuweisen, gegen den er sich nicht verteidigen kann, indem er auf erhaltene Befehle verweist.
Wenn im März Oliver Hirschbiegels Das Experiment in die Kinos kommt, wird ein gänzlich anderer Aspekt des Phänomens „Befehlsstrukturen“ zur Verhandlung kommen. Hirschbiegel hat das berüchtigte Stanford-Experiment der frühen siebziger Jahre dramatisiert, mit seinen Schauspielern förmlich nachgestellt: Zu welcher Gewalt sind 20 Männer fähig, die – die einen als Häftlinge, die anderen als ihre Bewacher – nur zwei Wochen lang in einer vorgegebenen hierarchischen Situation miteinander verbringen müssen. Das Experiment ergab, und der Film folgt ihm darin: Die Zuteilung solcher Macht unter gleichzeitiger Entbindung von allen zuvor bekannten Regeln lässt schließlich die Männer wie Bestien aufeinander losgehen.
Das ist es auch, was Staatsanwaltschaft, Gericht und große Teile der israelischen Öffentlichkeit 1961 von dem Prozess gegen Eichmann erwarteten: dass hinter der Maske des kühlen Bürokraten der Unmensch zum Vorschein komme, als den man sich jemanden vorstellte, der die Transporte in die Vernichtungslager zentral organisiert hatte. Statt dessen sah man im Prozess einen Mann, der nie die Fassung verlor und beharrlich behauptete, ein Fahneneid habe ihn zum Gehorsam gezwungen. Und so wurde den alten eine neue Kategorie des Unmenschlichen hinzugefügt: die des eiskalten Leugnens einer persönlichen Tatbeteiligung. Hingerichtet wurde Eichmann, weil ihm nicht geglaubt wurde, die Vernichtung sei nicht seine Absicht gewesen.
Sivans Team ging bei seiner Arbeit dagegen davon aus, Eichmann habe womöglich die Wahrheit gesagt, und die Anklage, weil sie den Unmenschen Eichmann herausstellen wollte, habe den entscheidenden Punkt verfehlt. Hannah Arendt fasste diesen Punkt 1964 in ihrem Buch Eichmann in Jerusalem unter dem Begriff von der Banalität des Bösen zusammen.
Sie trug damit wesentlich dazu bei, das Spezifische der Judenvernichtung,das, was sie von anderen Genoziden unterscheidet, in ihrer leidenschaftslosen Durchführung zu sehen. Und leidenschaftslos konnte sie vor allem ihrer hierarchischen Arbeitsteiligkeit wegen sein: Der Einzelne musste die Juden gar nicht so sehr hassen, dass er sie hätte töten wollen, und trug doch seinen Teil dazu bei. Von den Orten der Tötung waren die meis-ten Deutschen weit entfernt, vom Effekt ihres Tuns entfremdet – oder sie fühlten sich durch Gehorsam verpflichtet.
Aus dieser Erkenntnis keine Entschuldigung zu machen, sondern eine Herausforderung, das unternahm Sivans Film: Er habe „einen Film über Gehorsam, Verantwortung und modernes Management“ machen wollen, sagte er vorletztes Jahr der taz im Interview.
Dieser Versuch, die durch den Täter Eichmann aufgeworfenen Fragen zu sehr gegenwärtigen Fragen zu machen, veranlasste den Historiker Götz Aly damals zu dem Vorwurf, Sivan reduziere Eichmann auf einen bloßen Vertreter von Moderne und Expertentum. Aly betonte dagegen das Besondere an Eichmann und anderen nationalsozialistischen Tätern.
Von zwei anderen Seiten hat Jan Philip Reemtsma die Thesen Arendts modifiziert. Zum einen versuchte er nachzuweisen, dass schon der Genozid an den Indianern in Lateinamerika durch die Spanier in gewisser Weise leidenschaftslos und durch ein technokratisches Wissen bedingt war, das sich die Spanier während Inquisi-tion und Reconquista angeeignet hatten. Und zum anderen bezeugen die in der Wehrmachtsausstellung präsentierten Dokumente, dass viel mehr Deutsche als zuvor bekannt unmittelbar an Tötungen beteiligt gewesen sind.
Wenn am 27.1. nocheinmal der Eichmann-Film Sivans im Abaton gezeigt und anschließend eine Diskussion veranstaltet wird, dürfte neben der Frage, ob und wie denn die Nazi-Täter zu verstehen seien, vor allem die Frage nach der Singularität des Holocaust im Vordergrund stehen. Genug zu diskutieren also.
Sa, 13 Uhr, Abaton; Diskussion: 16 Uhr, FB Erziehungswissenschaft (Van-Melle-Park 8, Raum 5, Eingang Binderstraße)
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