Flirtende Faune

Das Ingun Bjornsgaard Projekt hat mit The afternoon and the others Deutschlandpremiere auf Kampnagel  ■ Von Nikola Duric

Ingun Bjornsgaards Tanzprojekt the afternoon and the others, das jetzt auf Kampnagel aufgeführt wird, basiert auf Stephane Mallarmés zwölfseitigem Gedicht Ein Faun am Nachmittag (1876). Mallarmé versuchte damit ein vollkommenes Stück Dichtung hinzubekommen, er suchte nach einer sprachlichen Perfektion und Geschlossenheit, die auch das klassische Ballett für seine Formsprache behauptet. Wer schon das Vergnügen hatte, einen Teil ihrer „Hamburger Trilogie“ zu sehen (The Flux Position of an Insulted Eye, 1996, The Solitary Shame Announced by a Piano, 1997 und pli a pli, 1999), weiß, dass es Bjornsgaard nicht um Perfektion, sondern um ein Spiel mit der Vollkommenheit geht. Ihre Inszenierungsart ist ein kontinuierlicher Kommentar zu klassichem Ballett. Sie zersetzt das Attribut der Könnerschaft in Momente zerfallender Schönheit.

1894 hatte Claude Debussys Komposition Der Nachmittag eines Fauns in Paris Premiere. Viele Elemente seiner Musik nahmen damals die aufkeimende Atonalität des Fin de Siecle-Klangs vorweg. 1912 entwickelte Vaslaw Nijinsky mit Hilfe der Musik Debussys einen Ballettabend, der in seiner zurückgenommenen Art jedoch einen Skandal hervorbrachte und schnell abgesetzt wurde. Das Stück, in dem ein Tennisspieler seinen Ball verliert und beim Zurückholen mit zwei jungen Damen flirtet, wurde erst viel später in das klassische Ballettrepertoire geholt und unter anderem von John Neumeier präsentiert.

Harter E-Stoff also. Und genau in diesem abgesicherten Gebiet der Hochkultur setzt Bjornsgaard ihr ironisches Kommentar-Ballett an. So tauchen in The solitary Shame Announced by a Piano die Tänzer als flügelschwingende Schwäne auf – ein bekanntes Bild für Ballett, wenn da nicht auch abstürzende Königsvögel zu sehen wären. Bjornsgaards Tänzer dürfen lachen, rauchen und rülpsen, bevor sie in ihre „pas de deux“-Serialität zurückkehren. In ihrem „Ballett“ werden bourgeoise Sehgewohnheiten benutzt, bedient und gleichzeitig dem Zerfall preisgegeben. Im Grunde ist dies ein alter Trick des zeitgenössischen Theaters: Regisseure wie Frank Castorf oder Leander Hausmann nehmen sich alter Theaterstoffe an, um sie nicht nur als Spiegelung der aktuellen gesellschaftlichen Situation zu inszenieren, wie es Peyman oder Zadek tun, sie fügen dem altehrwürdigen Stoff noch eine persönliche Note hinzu, treiben die Stücke auf das Niveau ihres eigenen Irrsinns.

Ähnlich verfährt Bjornsgaard mit klassischem Tanzrepertoire. Sie spielt mit den Erwartungen und dem Wissen des bürgerlichen Theatergängers, was immer dann wirklich gut wird, wenn ihr skurriler Humor hinzukommt. Manchmal jedoch bleibt ihre Bewegungssprache in purer Ironie stecken. Dann wird es einfach nur besserwisserisch und augenzwinkernd. An anderen Stellen löst sie sich jedoch vom witzigen Kommentar und landet bei purem Humor. Dies sind die Glücksmomente ihrer Inszenierungen.

Und dann gibt es noch den Aspekt der „getanzten Tiere“ in ihren Abenden. Eine Lücke in der Evolutionstheorie bestand darin, dass niemand die Beziehungen von Tieren untereinander untersuchte. Es wurde immer nur die Verwandtschaft und Abstammung der einzelnen Arten untersucht.

Bjornsgaard schließt diese Lü-cke in the afternoon and the others künstlerisch, indem ihre zu Faunen gewordenen Darsteller soziale Beziehungen tanzen. Damit wird der Abend neben der Beschäftigung mit Vollkommenheit auch zu einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung, zu einem zoologischen Experiment. Bei der Faunwerdung hat man es auch immer mit einer Meute zu tun, mit einer Bande, einem Rudel, einem Ensemble. Es ist möglich, vom Tier bestimmte Eigenschaften und Funktionen beizubehalten oder abzuleiten. Gesellschaft und Staat brauchen bestimmte tierische Eigenschaften, um die Menschen zu klassifizieren. In Hoffmannsthals Lord Chandos Brief ist jemand so sehr von Tieren fasziniert, dass es kein Mitleid, sondern „ein ungeheures Anteilnehmen, ein Hinüberfließen in jene Geschöpfe“ gibt. So kommt es zu der seltsamen Regel: entweder aufhören zu tanzen, oder wie ein Faun tanzen... Das ist doch „Deleuze- Dance“ werden manche jetzt rufen, – genau, aber in Schön.

Premiere: heute, 20 Uhr, Kampnagel, k6. Weitere Vorstellungen: 26. Und 27.1., jeweils 20 Uhr