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: HELMUT HÖGE übers Freischwimmen

Das Oderberger Kunstbad

An sich betreibe ich regelmäßig Saunaforschung, d. h. ich klappere schon fast systematisch alle Saunas ab, um mich am Anblick von dicken Bizepsen, Brüsten und Bierbäuchen zu erfrischen. Badeanstalten meide ich dagegen, einzige Ausnahme: die 1899 erbaute „2. Volksbadeanstalt“ in Prenzlauer Berg.

Die ist seit 1986 geschlossen – und seitdem finden dort nur noch Kunst- und Kulturveranstaltungen statt, organisiert von der ältesten Bürgerinitiative der DDR – in der Oderberger Straße, deren zwei Aktivisten (Krause und Holtfreter) ich sehr schätze. 1994 fand dort ihr erstes „Fluten“ – im leeren Becken – statt, 1997 folgte „Fluten 2“. Nun soll es dort richtig losgehen.

Dazu lud die BI in das akut gefährdete Kulturzentrum „Acud“ ein, wo sie den Wasserfilm „Tuwalu“ zeigte. Das Drehbuch schrieb Michaela Beck – ein ehemalige Ostberliner Kunstspringerin aus der „2. Volksbadeanstalt“ in der Oderberger Straße. In ihrem wunderbaren Film geht es um einen blinden Bademeister in einem völlig maroden Schwimmbad (die 1. Volksbadeanstalt von Sofia). Sein Sohn und die Kassenfrau simulieren für ihn jeden Tag vitalstes Badegeschehen. Aber dann bricht eine Schwimmerin, die kasachische Russin Chulpan Hamatova, in die Idylle ein – und alles verändert sich ... Aber es gibt ein geradezu märchenhaftes Happyend. Selbst superkritische Kinder konnten sich für diesen Film begeistern, einige unkritische Mütter sahen ihn bereits zum fünften Mal.

Anschließend erläuterte der einstige BI-Gründer und jetzige PDS-Abgeordnete Bernd Holtfreter den Zusammenhang zwischen dem stillgelegten Oderberger Realbad und dem mit der Abrissbirne rückgebauten Sofioter Stadtbad – als Film: Es hat sich eine Genossenschaft gegründet, die das hiesige Bad, das privatisiert werden soll, kaufen will. Diese „e.G.“ will eine Massenorganisation werden, jeder soll – mit mindestens 100 Mark – einsteigen. Die Genossen haben inzwischen mit anerkannten Bäder-Architekten ein Konzept erarbeitet. Danach soll aus dem denkmalgeschützten Objekt ein „Kunstbad“ werden, d. h. man kann dort baden und saunen, gleichzeitig soll aber auch Platz für Kunst- und Kulturveranstaltungen geschaffen werden.

Der Plan ist so einmalig wie Micky Remanns „Unterwasserkonzerte“ in Bad Sulzach. Es gibt jedoch noch einen Mitbewerber um das Oderberger Bad – und das ist die Real-Projekt-AG, die wie alle Immobilienfittis den Hals nicht voll kriegen kann und an einem immer größeren Rad dreht: Derzeit „entwickeln“ sie die Kreuzberger Schultheiß-Brauerei – für 300 Millionen Mark. Aus dem Bad wollen sie ein 5-Sterne-Hotel machen. Weil es dazu jedoch aus der Bäderliste herausgenommen werden müsste, haben sie der BI-Genossenschaft bereits eine Kooperation angeboten. In anderen Worten: Es sieht gar nicht mal so schlecht aus für die Utopie der Basisorganisation.

Die Vorführung des Films „Tuwalu“ war dazu die erste Werbeveranstaltung, die nächste folgt am 25. Februar, ebenfalls im „Acud“, mit einer Lesung aus Katharina Hackers Roman „Der Bademeister“. Auch die darauffolgenden Akquise-Aqua-Events werden dem Thema „Wasserspiele“ bzw. dem „Inneren Ozean“ gewidmet sein. Dazu bieten sich u. a. die Autoren Theweleit, Carl Schmitt und Michelet an – alle drei haben wie wild wellenumspülte weibliche Wülste und wüst wogende Wunschvisionen im Warmwasserbereich in ihren wissensmäßigen Würgegriff genommen. Aber hier soll das Ganze ja einem guten Zweck dienen!

Infos: Genossenschaft Stadtbad Oderberger, Templiner Straße 17, 10119 Berlin, Tel: 449 45 98.