Wettstreit um den Leib

Die umstrittene Anatomieausstellung „Körperwelten“ kommt nach Berlin. Die christlichen Kirchen reagieren mit einer eigenen Veranstaltungsreihe. Sie sehen die Würde des Menschen verletzt

von PETRA MAYER

„Man hat den Menschen das Gesicht genommen“, meint der Geistliche Rektor an der Katholischen Akademie Berlin, Ernst Pulsfort. Die Haltung der katholischen Kirche zu der seit 1996 laufenden Anatomieausstellung „Körperwelten“ ist eindeutig. Die anonymisierten Leichname würden ohne Biografie dargestellt, ohne soziale Bezüge. „Sie haben keine Individualität mehr“, so Pulsfort. Um ihnen ihre Geschichte zurückzugeben, findet am 14. Februar in der Akademiekirche St. Thomas von Aquin in der Hannoverschen Straße ein „Requiem für die Toten der Ausstellung Körperwelten statt“.

Ab 10. Februar 2001 wird die Wanderausstellung am Berliner Ostbahnhof zu sehen sein. Die Leichen, die der Heidelberger Anatomieprofessor Gunther von Hagen präpariert hat, wurden bisher in Japan, Mannheim, Wien, Basel, Köln und Oberhausen ausgestellt. Sechs Millionen BesucherInnen hat die Exposition bisher in ihren Bann gezogen. Gezeigt werden 25 so genannte Körperplastinate von Toten. Von Hagen hat die Leichen mit einer chemischen Substanz überzogen, die sie vor Verwesung schützen. Darüber hinaus werden weitere 200 präparierte Körperteile ausgestellt.

Das ökumenische Programm der Evangelischen und Katholischen Akademie in Berlin will die Ausstellung kritisch begleiten. Dazu sind mehr als 15 Veranstaltungen vorgesehen, unter anderem eine Podiumsdiskussion über die „Würde des lebenden und des toten Körpers“. Anders als beispielsweise in Oberhausen, wo die Kirchen viel stärker auf die Ausstellung zugegangen waren, werfen die Berliner Kirchen den Machern die Verletzung der Menschenwürde vor.

Von den sechs Kritikern von „Körperwelten“, die sich gestern auf einer Pressekonferenz äußerten, hat bisher lediglich einer die Veranstaltung besucht. Grundsätzlich wollen die Kirchenvertreter aber eine ethische Diskussion über das Thema Tod und Sterben in Gang setzen. „Die Kirche hat immer Stellung bezogen zum Thema: Was ist Körper, was ist Leib? Uns liegt an einem offenen Wettstreit“, so Pfarrer Christhard Georg Neubert, Direktor der Evangelischen Kulturstiftung St. Mattäus. Neubert kritisiert vor allem die mit dem Untertitel „Faszination des Ichs“ angedeutete „Anatomie-Art“. Die Ausstellung sei keine Kunstform, sondern „eine Inszenierung von Leichenteilen“. Wirkliche Kunst würde etwas Neues darstellen, etwas zu bedenken geben, was der Mensch sei. Dies sei in der Ausstellung nicht realisiert. „Erst der Blick, der hinter die Oberfläche geht, kommt zu Einsichten“, so der Pfarrer.

Der Anatomieprofessor von Hagen, der seit Jahrzehnten Körper und Körperteile präpariert, gibt jedoch gar nicht vor, ethische Fragen beantworten zu wollen. Er sieht sich als Aufklärer, der den BetrachterInnen die Möglichkeit bietet, sich von innen zu sehen. Er will kein „Schicksalsmuseum“ aufbauen, sondern abstrahiert bewusst von der Person. Von Hagen will keinen neuen Totenkult schaffen, sondern aufklären. Von Hagen: „Meine ganzheitliche Anatomie zeigt ein natürliches Präparat eines gelebten Menschen.“

Die bisherigen Besucher seien „mit großem Respekt und Interesse und nicht mit Schaulust und voyeuristischen Erwartungen gekommen“, sagt Thomas Knuth, persönlicher Referent von Hagens. Die Menschenwürde sieht Knuth nicht verletzt. Den Plastinaten sei eine wesentliche Eigenschaft von Leichen genommen – die Verwesung. „Von Hagen macht genau das Gegenteil: Er stoppt die Verwesung und anonymisiert die Toten.“ Zudem haben diejenigen Menschen, die ausgestellt werden, „explizit zu Lebenszeiten ihr Einverständnis für die Präparation und die Zurverfügungstellung für die Allgemeinheit gegeben“.

Inzwischen gibt es über 3.000 freiwillige Körperspender, die sich aufgrund der Ausstellung und der Berichterstattung darüber bei von Hagen gemeldet haben.