Rote Backen vor der Postproduktion

Bei Dreharbeiten fühlt sich Jan Fehse wie „ein Bassist in einer Band“. Schließlich schafft es der von München nach Berlin übergesiedelte Kameramann immer wieder, strenge Bilder ohne viele Effekte zu filmen – zuletzt die kahlen Betonquader von Hohenschönhausen in Esther Gronenborns „alaska.de“

von BIRGIT GLOMBITZA

Sie soll nicht nervös sein. Nicht herumtänzeln wie eine geschwätzige Gesellschaftsreporterin, sich nicht alles herangrabschen, nur weil es ihr für den Augenblick gerade interessant scheint, um es im nächsten wieder fallen zu lassen. Sie soll sich nicht mit wilden Fahrten wichtig machen, wenn Stillhalten dienlicher wäre. Und vor allem soll sie sich nicht ständig in den Vordergrund spielen und eine Erzählung mit Effekten kaputtmachen – Jan Fehses Benimmregeln für die Filmkamera, sein Arbeitsgerät. Drei Filme, bei denen der 32-jährige Wahlberliner die Kamera bei Fuß nahm, sind in diesem Jahr in den Kinos zu sehen: „Love, Peace and Pancakes“, „Tatoo“ und, heute am Start, „alaska.de“ von Esther Gronenborn.

Berlin-Schöneberg. Die Wohnung riecht noch neu. Ein Tisch, ein paar Stühle. Hier wohnt keiner von denen, die ihre Empfangsräume auf funktionales Mindestmaß abspecken, um sich dann doch ein Schlafzimmer in Schweinchenrosa zu gönnen. Immerhin gibt es ein überdimensionales Sofa, auf dem sich auch ein Blauwal entspannen könnte.

Jan Fehse mag es „nicht zu bunt“ und „nicht zu voll“. Nicht im Sucher. Nicht um ihn herum. Irgendwo in dem fußballfeldgroßen Wohnzimmer sitzt er jetzt und ziert sich. Er soll das Tattoo auf seinem Oberarm stärker zur Kamera drehen. „Ich hasse es“, wiederholt der gebürtige Münchner schluckaufartig. „Das hat mit Eitelkeit nichts zu tun. Ich hasse es, mich zu produzieren. Erst recht vor einer Kamera.“

Außerdem findet er sowieso alles „etwas übertrieben“, sagt er und reibt sich verlegen die Ohren. Schließlich kennt ihn ja keiner – und darüber ist er nicht traurig. Kameramänner werden nicht berühmt. Und auch das kommt ihm gelegen: „Bei der Kameraarbeit geht es darum, andere zu unterstützen. Die Regie, die Erzählung, die Schauspieler. Ein Job, wie der eines Bassisten in einer Band, der bleibt meist im Halbdunkel und wird auch nie so bekannt wie der Sänger.“

Die zwei „Sängerinnen“ von „alaska.de“ sind die Regisseurin Esther Gronenborn und Jana Pallaske, die die sechzehnjährige Sabine spielt und von der Kritik als Treptows Antwort auf Elodie Bouchez gefeiert wird. Gronenborns Debüt spielt in Hohenschönhausen. Der Film ist überwiegend mit Laien besetzt und erzählt vom Erwachsenwerden zwischen Betonquadern, von Beißwettbewerben zwischen Kampfhunden, von der Apathie der Eltern und von Hackordnungen, die allzu leicht gefährlich entgleisen können.

In Fehses Aufnahmen gähnt einem nicht einfach nur die Unwirtlichkeit der Trabantenstädte entgegen. Seine Kamera zeigt quadriertes Leben. Aufgeraute Bilder mit ausgewaschenen Farben. Am liebsten aschgrau oder zahnsteingelb. Damit nichts grünt, wurden Rasenflächen vor dem Drehen mit Planen abgedeckt. Nur der Ballon, der am Ende Eddi und Sabine bei einer Was-wäre-wenn-Szene aus der Wirklichkeit trägt, darf ein bisschen leuchten.

Zugleich ist nicht jeder Achsensprung, jeder Hüpfer in eine andere Brennweite oder jeder unverhoffte Kameraschlenker einem ästhetischen Prinzip verpflichtet. Gronenborn und Fehse ging es vor allem um eins: „den Laiendarstellern ganz viel Platz zum Spielen zu lassen. Von ihnen kann man schließlich nicht erwarten, dass sie haargenau auf irgendwelchen Markierungen stehen.“ Um plötzlichen Bewegungen besser ausweichen zu können und doch möglichst nah an den Akteuren zu bleiben, wurde mit einem Jibarm gedreht: ein kleiner Kran, der die Kamera überall hinschweben lässt. „Das ist etwas ganz anderes als eine Handkamera“, betont Jan Fehse überraschend energisch und bekennt im gleichen Atemzug, „ich bin auch kein Dogma-Freund. ‚Das Fest‘ ist ein großartiger Film, aber nicht wegen, sondern trotz der Kamera.“

Der Vorwurf, dass Kamera und Regie in „alaska.de“ ihre Illusionen manchmal mit den Mitteln der Werbewelt geschaffen haben, dass eine Breakdanceszene im Gegenlicht allzu zielgruppenorientiert fotografiert wurde, stört ihn nicht. Für ihn haben diese Bilder nichts mit seinen Commercials etwa für Media Markt, Bewag oder Chupa Chups gemein. „Aber natürlich hat ‚alaska.de‘ auch Schwächen“, räumt er ein und inspiziert einen Krümel auf dem Esstisch: „Mir ist er manchmal zu hektisch und zu nah. Ein paar Totalen mehr hätte er gut vertragen. Aber so etwas sieht man immer erst nachher, im Kino.“

Für Jan Fehse ist „alska.de“ nach „Pi – Die Polizistin“, einem „ganz kleinen Fernsehspiel“, oder dem Thriller „Kismet“ so etwas „wie ein Startschuss“. Seitdem flattern ihm „bessere Drehbücher“ auf den Tisch – bloß schade, dass schon jemand Filme wie „Fargo“ oder „Buffalo 66“ ohne Jan Fehse gedreht hat. Aber es muss nicht unbedingt Amerika sein. „Auch in Island, Frankreich oder England sieht man sich um und denkt gleich, hier will ich Bilder machen“, schwärmt der Kameramann und geht im kurzärmeligen Hemd das dritte Mal zum verschneiten Fenster, um es aufzureißen. „Die Filme hier sehen nicht wegen uninspirierter Kameraarbeit nicht gut aus, sondern weil Deutschland kein filmisches Land ist. Hier finde ich nichts, woran mein Auge hängen bleibt.“

Ihm ist immer noch warm. Er setzt sich wieder. Seine Backen sind ein bisschen röter geworden. Rot! Auch noch im Dialog mit der orangen Tischplatte. Bei der Postproduktion würde man das jetzt wohl wegfiltern.

„alaska de.“ läuft ab heute in den Kinos Hackesche Höfe, Kant, Moviemento, Village Kulturbrauerei, Passage