zoologie der sportlerarten: PROF. HIRSCH-WURZ über den Schwimmer
Humantorpedo mit Giftzünglein
Der Homo planschicus ist nach neueren Forschungen eindeutig eine Ausgeburt Australiens. So gesehen ist es ein Wunder, dass er nicht giftig ist, wie die meisten Bewohner des tödlichsten aller Kontinente. Was nicht ausschließt, dass einzelne Exemplare immerhin eine überaus giftige Zunge ihr eigen nennen und es mit jeder Kupferkopfotter aufnehmen können, zumindest, wenn es um die werte Konkurrenz aus in- und ausländischen Gewässern geht.
Bis der Australier auftauchte, kam kein Mensch auf die Idee, dass man sich unter Umständen auch schwimmend durch das feuchteste aller Elemente bewegen könnte, nicht einmal ertrinkende Seeleute. Oder vielleicht kamen sie ja darauf, wenn sie gerade am Ertrinken waren, doch dann war es dummerweise zu spät, noch schnell schwimmen zu lernen. Und als sie Zeit dazu gehabt hätten, konnten sie schließlich nicht ahnen, dass sie eines Tages ertrinken und diese Fertigkeit dringend benötigen würden.
Australier denken so kompliziert nicht, außerdem ist es ihnen vollkommen wurscht, ob sie ersaufen, von feurigen Quallen verbrannt, von gefräßigen Riesenhaien vertilgt oder von gewaltigen Wellen verschlungen werden – Hauptsache, ins Wasser. Ihren schönen großen Kontinent ließen sie, nachdem sie ihn den Aborigines gestohlen hatten, innen drin völlig leer und setzten sich statt dessen an den Küsten fest, damit sie es nicht so weit zum Meer haben. Sie sind die einzige Nation, die einen Premierminister aufweisen kann, der beim Surfen spurlos verschwunden ist, und sie sind auch die einzige Nation, die bedenkenlos jemanden zum Präsidenten wählen würde, nur weil er gut im Wasser klar kommt. Dawn Fraser, Murray Rose, Susie O’Neill, Shane Gould, Samantha Riley, Kieren Perkins, Ian Thorpe, sie alle könnten mit Leichtigkeit jedes hohe politische Amt bekleiden, wenn sie wollten. Wollen sie aber nicht, weil sie dafür selbst in Australien aus dem Wasser kommen müssten.
Alles wäre bestens, hätte Poseidon nicht unglücklicherweise die Yankees erfunden, die bekanntlich alles nachmachen müssen und sich dann sofort einbilden, sie könnten es viel besser. Das wurmt den Homo planschicus australis, zumal es sogar zutrifft. Seit der Homo planschicus americanis einen ähnlichen Fanatismus für feuchte Biotope entwickelt hat, ist die Zahl der gewonnenen australischen Schwimm-Goldmedaillen rapide gesunken, und darüber ist der Australier tief unglücklich. Die sieben Olympiasiege des Mark Spitz in München, Matt Biondis unverschämte Weltrekorde, die freche Zunge eines Gary Hall jr., es gibt kaum etwas Schlimmeres für die Australier, es sei denn, ein Neuseeländer ersteigt als erster den Gipfel des Mount Everest. Zum Trost bekommen amerikanische Schwimmer wenigstens keine hohen politischen Ämter, sondern werden höchstens Tarzan.
Für die Schmach, die ihm lange Jahre von den wasserfesten Yanks zugefügt wurde, rächt sich der Homo planschicus australis, indem er langnasige, großfüßige und breit lächelnde Humantorpedos züchtet, die er dann zu den lästigen US-Piranhas ins Becken steckt. Dabei vergisst er vor lauter Amifixierung gelegentlich, dass auch Holländer und Italiener inzwischen große Fortschritte bei der Entwicklung immer unförmigerer, flinkerer und langnasigerer Abarten des modernen Homo planschicus hormonautis gemacht haben, und guckt am Ende doch wieder in die Röhre.
Insgesamt wird der Homo planschicus von den Vertretern anderer Sportlerarten schwer beneidet. Er darf nicht nur den ganzen Tag baden gehen, sondern braucht auch, wenn es mit der Karriere nicht recht klappt, keineswegs verzweifeln. Er kann ja jederzeit als Möbelpacker arbeiten. Das gilt in besonderem Maße auch für seine weibliche Daseinsform, die allerdings aufpassen muss, dass die körperliche Ausdehnung auch tatsächlich vorwiegend im Schulter- und Nasenbereich stattfindet. Schlägt sie sich in anderen prekären Bereichen des delikat ausbalancierten Corpus craulus nieder, führt das nicht nur zu ungünstigen Schwerkraftverhältnissen im Wasser, sondern auch zu wenig charmanten Schlagzeilen in der Boulevardpresse. Und auf speckige Bemerkungen kann selbst der notorische Homo planschicus mopsus milkensis gut verzichten.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
MATTI LIESKE
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 66, ist Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.
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