Rivalisierende Löwinnen in der Savanne

Tennis als Revier-Verteidigung: Martina Hingis beißt sich bei den Australian Open ebenso durch wie Venus Williams

MELBOURNE taz ■ Vor den Toren der Tennisarena zählt der Lehrer seinen Trupp Zweitklässler noch mal durch und erklärt bedeutungsschwer: „Also, wir gehen jetzt da rein, und dann sehen wir die Besten der Welt.“

Der Mann versprach nicht zu viel, doch er hätte auch sagen können: Passt auf, da drinnen sind die Löwinnen los. Es bebt die Savanne im Melbourne Park. Am Mittwoch gewann Martina Hingis (20) nach einem spektakulären dritten Satz im Viertelfinale gegen die 19-jährige Serena Williams (6:2, 3:6, 8:6). Heute schon spielt sie gegen deren ein Jahr ältere Schwester Venus, die nur mit großer Mühe gegen Amanda Coetzer gewonnen hatte (2:6, 6:1, 8:6). Auch das war ein Spiel um die Hoheit im Revier.

Wie es zugeht in der Savanne, das zeigte die Reaktion der Siegerin Hingis. Als sie mit einer Erklärung Serenas konfrontiert wurde, worin es hieß, die habe sich nicht besonders gut gefühlt, weil sie wegen einer Lebensmittel-Vergiftung zwei Tage lang nichts gegessen hatte, konterte sie kühl: „Man muss eben darauf achten, was man isst.“ Dann meinte sie, von einer Vergiftung habe sie nichts bemerkt, so wie die andere im dritten Satz gerannt sei. Auch das hörte sich nicht eben mitfühlend an, aber in der Wildnis gibt es bekanntlich kein Pardon. Wer die Beute nicht verträgt, der ist selbst schuld.

Hingis hatte allerdings insofern Recht, als Serena Williams in diesem dritten Satz tatsächlich gerannt war, als ginge es ums Leben. Ein scheußlich schmeckendes Pulver, das ihr die Physiotherapeutin nach dem ersten Satz gegeben hatte, sagte Williams, habe ihr geholfen. Doch gegen den Spielwitz und die deutlich verbesserte Kondition der Schweizerin nützte das alles nichts. 1:4 lag Hingis im dritten Satz schon zurück, und von diesem Zeitpunkt bis zum Ende des Spiels duckten sich die Gräser in der Savanne.

Ein großer Sieg für Hingis, die Jagd aber geht weiter am nächsten Tag. Diesmal Martina gegen Venus, zum 17. Mal in einer Zeit von knapp vier Jahren, und das zeigt auch, wer das Gesetz in der Wildnis seit einiger Zeit bestimmt. Kein Tag Pause zwischen Viertel- und Halbfinale – das gibt es für die Spielerinnen nur bei diesem einen Grand Slam, doch Hingis meinte, das sei kein Problem. Bei kleineren Turnieren müsse man am Ende auch Freitag, Samstag, Sonntag spielen und das halte man gut aus.

Doch auch Venus Williams war offensichtlich der Meinung, man müsse da durch, und sie schleppte Serena gleich mit. Keine Stunde nach der Niederlage der kleinen Schwester kehrten die beiden zum Viertelfinale im Doppel gegen Kurnikowa/Schett in die Arena zurück, und sie gönnten sich auch dabei das volle Programm. In drei Sätzen besiegten sie das ausgeruhte andere Paar (3:6, 6:1, 6:1). Serena sagte hinterher, sie sei noch nicht am Ende. „Sehen Sie mich doch an: Ich habe gerade Doppel gespielt, ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, und ich könnte noch ein Spiel machen.“

Nach diesem Ausdauertest jedenfalls stand fest, dass Martina Hingis den Schwestern nicht nur nacheinander und getrennt, sondern im Halbfinale des Doppels auch zur gleichen Zeit und zusammen begegnen würde. Wenn dieses Turnier vorbei ist, werden die Rivalinnen der Wildnis froh sein, sich ein Weilchen nicht mehr zu sehen. Bis auf weiteres ist der Bedarf wohl erst mal gedeckt. DORIS HENKEL