Ein neuer Mäzen für eine brotlose Kunst

Das San Francisco Museum of Modern Art möchte neue Kunst nicht nur ausstellen und sammeln, sondern auch selbst produzieren: Für eine Ausstellung mit Arbeiten, die nur im World Wide Web realisiert werden können, hat es zum Jahrtausendwechsel bei fünf Künstlern neue Werke in Auftrag gegeben

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Seltsam still ist es geworden um die Webkunst, die ja doch früher als der Kommerz das Internet als Medium entdeckt und erforscht hat. Nur noch selten ist heute von einem neuen Werk zu berichten, das nicht bloß traditionelle Computer- und Videografik reproduziert, sondern entschieden versucht, aus den technischen Grundlagen des Netzes Gewinn zu ziehen.

Die Stagnation hat indessen weniger ästhetische als vielmehr wirtschaftliche Gründe. Für Kunstwerke, die ausschließlich im Internet existieren, kann sich kein Markt entwickeln. Wer immer Zugang zum Internet hat (und mit hinreichender Hardware ausgerüstet ist), kann kostenlos auf diese Kunst zugreifen – keineswegs nur auf Reproduktionen, sondern auf das Original, das, eben weil es sich im Netz befindet, bliebig oft reproduzierbar ist. Keine Galerie und kein Sammler kann den ideellen Wert eines solchen Werks in Geld ummünzen, Webkunst ist eine strukturell brotlose Kunst, zumindest solange die Nutzer des Internets lediglich bereit sind, für die technischen Voraussetzungen Geld zu bezahlen, nicht aber für den Nutzen, den sie daraus ziehen.

Das junge, daher ehrgeizige San Francisco Museum of Modern Art hat nun aus dieser Lage eine bemerkenswert vorbildliche Schlussfolgerung gezogen. Zum nunmehr definitiven Jahrtausendwechsel, der mit dem auch als Binärzahl missverstehbaren Datum „01 01 01“ begann, hat es bei fünf Künstlern neue Werke in Auftrag gegeben. Das Museum kommt damit einer neuen, mäzenatischen Aufgabe nach, vergleichbar etwa der Rolle, die der Rundfunksender für die neue Musik nach dem Krieg hatte.

Die neue Technik des Internets, so ist auf der Startseite unter 010101.sfmoma.org nachzulesen, stelle neue Herausforderungen an Museen, nicht nur was die Präsentation digitaler Werke betreffe. Das Museum selbst müsse sich heute in den Raum des Netzes begeben, nicht um dort mit einer Website mehr für seine Sammlungen zu werben, sondern um selbst als Produzent und Auftraggeber jener Kunst aufzutreten, die sich der modernsten verfügbaren Technik bediene.

Dennoch möchte das Museum aber ein Museum bleiben. Die neuen Werke, die es in Auftrag gab, sollen zum Bestand seiner Sammlungen hinzukommen, daher in gewisser Weise repräsentativ sein für ihre Gattung. Dass die Kuratoren sich nicht auf gewagte Experimente einließen, sondern sich an bewährte Namen hielten, ist ihnen deshalb nicht vorzuwerfen. Die Onlineausstellung „010101“, die erst im März auch in den realen Räumen des Mueseums zu sehen sein wird, ist eine kleine, aber feine Rückschau geworden. Natürlich hat sie nicht den Anspruch, die ganze Breite der Möglichkeiten abzubilden, die in den letzten Jahren ausprobiert worden sind. Rein konzeptionelle Arbeiten zum Thema vernetzte Kommunikation fehlen ganz. Die Kuratoren haben sich lieber auf Künstler konzentriert, die sich mit den Tiefenstrukturen der multimedialen Oberflächen des Web beschäftigen. Geradezu prototypisch steht dafür Mark Napier, der mit seinen (auch in dieser Zeitung vorgestellten) Arbeiten „Digital Landfill“, „Shredder“, und „Riot“ jede noch so kommerziell gefällige Website in das blanke Chaos verwandelt.

Für das Museum in San Francisco hat Napier nun seine lustvoll destruktive Programmierkunst noch weiter verfeinert: Im selben Browserfenster können nun die verschieden Elemente beliebiger Websites einer individuellen Sonderbehandlung unterzogen und vom Zuschauer, der zum Mitwirkenden wird, zu variablen Flickenteppichen arrangiert werden. niklaus@taz.de