Gerichtszeichner vor

Saalöffentlichkeit reicht: Bei Prozessen darf weiterhin nicht gefilmt werden, entschied das Verfassungsgericht. Und offenbart so tiefstes TV-Misstrauen

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Ein so konservatives und medienfeindliches Urteil hatten nur wenige erwartet. Das Verbot, in deutschen Gerichtsverhandlungen zu filmen, wurde vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in vollem Umfang aufrechterhalten. Nach der mündlichen Verhandlung im November war noch mit einer leichten Liberalisierung gerechnet worden. Doch mit fünf zu drei Stimmen entschied nun der Erste Senat in Karlsruhe, dass sich nichts ändern muss.

Geklagt hatte der Berliner Nachrichtensender n-tv. Er wollte zum einen den Strafprozess gegen Egon Krenz wegen der Mauertoten filmen, zum anderen eine Urteilsverkündung des Bundesverwaltungsgerichts, bei der es um die Kruzifixe in bayerischen Schulen ging. In beiden Fällen wurde der Wunsch des Senders abgewiesen, weshalb n-tv-Chef Karl-Ulrich Kuhlo den Fall nach Karlsruhe trug.

Doch das hätte er sich offensichtlich sparen können. Karlsruhe stellte klar, dass dem demokratischen Schutz vor einer „Geheimjustiz“ bereits Genüge getan ist, wenn eine „Saalöffentlichkeit“ zugelassen ist, zu der auch Journalisten zählen können. Ton- und Bildaufnahmen müssten deshalb, so das Verfassungsgericht, nicht auch noch erlaubt werden. „Prozesse finden in der, aber nicht für die Öffentlichkeit statt“, heißt der eingängigste Merksatz der gestrigen Entscheidung.

Gefilmte Gerichtsreportagen könnten vielmehr die Persönlichkeitsrechte von Zeugen und Angeklagten verletzen, wird befürchtet. Das Fernsehen würde zum öffentlichen „Pranger“, die Resozialisierung von Straftätern sei erschwert. Auch die Wahrheitsfindung im Prozess selbst werde gefährdet, glauben die Verfassungsrichter, wenn sich die Beteiligten aus Furcht vor der großen Öffentlichkeit scheuen, „intime, peinliche oder unehrenhafte Umstände vorzutragen“.

Mit einer Zulassung von Kameras in Strafprozessen hatte nach der mündlichen Verhandlung allerdings ohnehin kaum noch jemand gerechnet. Offen blieb aber, ob zum Beispiel bei Verwaltungsgerichten künftig gefilmt werden kann. Zumindest Verfahrensabschnitte ohne Zeugenvernehmung – etwa die Urteilsverkündung – schienen unproblematisch.

Doch der Senat lehnte strikt ab, Ausnahmen vom Filmverbot anzuordnen. Selbst wenn alle Beteiligten mit einer TV-Übertragung einverstanden sind, soll nichts anderes gelten. Die Richter argumentierten, dass es eine „zusätzliche Belastung“ für die Gerichte darstelle, wenn diese auch noch die Interessen der Medien zu berücksichtigen hätten.

Durch das Urteil zieht sich recht unverhohlen eine äußerst skeptische Sichtweise auf das moderne Fernsehen. Es bevorzuge das Sensationelle und neige zu „wirklichkeitsverzerrenden Darstellungsweisen“. Ausführlich wird die Gefahr diskutiert, dass Bilder und Aussagen aus dem Gerichtssaal „durch Schnitt oder sonstige Bearbeitungen“ manipuliert oder aus dem Zusammenhang gerissen werden.

Das BVerfG sieht dagegen genügend alternative Möglichkeiten für die Prozess-Bebilderung. Schließlich dürfe im Gerichtssaal vor und nach dem Prozess sowie in den Verhandlungspausen durchaus gefilmt werden.

Doch die rigide Entscheidung war auch in Karlsruhe umstritten. Immerhin drei RichterInnen – Wolfgang Hoffmann-Riem, Jürgen Kühling und Christine Hohmann-Dennhardt – sprachen sich in einem Minderheitsvotum dafür aus, das Filmverbot zu „überdenken“ und Ausnahmen zuzulassen. Die Freiheit der Medien, „über die Art und Weise ihrer Darstellung selbst zu entscheiden“, dürfe nicht zugunsten einer „leichtere Handhabung von Gerichtsverfahren“ zurückgestellt werden. Die übliche liberale Mehrheit am Ersten Senat des BVerfG kam diesmal nicht zustande, weil der von der FDP nominierte Richter Dieter Hömig und die linke Richterin Renate Jäger gestern mit den Konservativen um Senatspräsident Hans-Jürgen Papier stimmten.

Für alle Zeit ist der Status quo allerdings nicht festgeschrieben. Die erst 1964 erfolgte Einführung eines Filmverbots war nach Ansicht des BVerfG zwar möglich, aber nicht von der Verfassung geboten. Mit anderen Worten: der Bundestag könnte es jederzeit lockern oder sogar aufheben. Und: Ausgerechnet die Urteilsverkündungen des BVerfG sind schon seit 1998 fürs Fernsehen freigegeben. Zu medialen Exzessen ist es trotzdem bisher nicht gekommen.