GERICHTSFERNSEHEN BLEIBT IN DEUTSCHLAND ZU UNRECHT VERBOTEN
: Rache für Big Brother

Jetzt ist es amtlich: Das Fernsehen ist ein gefährliches Medium. Deshalb bleiben Kameras in deutschen Gerichtssälen auch weiterhin verboten. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte gestern keine Einwände gegen das seit 1964 bestehende Filmverbot, es wies die Klage des Nachrichtensenders n-tv ab. Wer das Fernsehen schon immer für eine verhängnisvolle Erfindung hielt, mag jubeln: Die Rechtsfindung wird nicht der Sensationslust der Medien ausgeliefert. Doch gegen „die Medien“ ging es diesmal nicht, das Filmverbot richtet sich gezielt gegen die „Macht der Bilder“.

Schließlich sind deutsche Gerichtsverfahren jetzt schon öffentlich, auch für Journalisten. Diese können sich Notizen machen und hinterher minutiöse Reportagen schreiben oder sich vor das Gerichtsgebäude stellen und in die Kamera erzählen, was sie gesehen haben.

Alles, was man mit dem Filmverbot angeblich vermeiden will, gibt es schon längst. Auch heute üben Medien Druck auf die Gerichte aus, stellen Sachverhalte sensationslüstern dar und verändern das Prozessklima durch ihre bloße Anwesenheit. Der Fall Monika Weimar spielte in Deutschland, nicht in Amerika.

Medienöffentlichkeit ist aber zugleich eine wichtige Kontrolle in der demokratischen Gesellschaft. Deshalb müssen unliebsame Nebenwirkungen hingenommen werden. Und der Gleichheitsgrundsatz verbietet es dem Staat, zwischen guten und schlechten Medien zu unterscheiden.

Doch genau dies hat das Verfassungsgericht jetzt getan. Statt der Gleichbehandlung der Medien zum Durchbruch zu verhelfen, hat es die Diskriminierung des Fernsehens aufrechterhalten. Denn Fernsehen ohne Bilder ist ein kastriertes Medium. Die Projektion aller Missbrauchsmöglichkeiten auf die Television wirkt allerdings wie eine Retourkutsche für die Programm-Exzesse der letzten Zeit: Die kulturgeschmäcklerischen Zeit-Leser im Verfassungsgericht rächten sich nun für Big Brother und die Millionärshochzeit. Die gestrige Entscheidung des Verfassungsgerichts überzeugt so wenig, dass der Bundestag womöglich bald von sich aus eine Lockerung des Filmverbots auf den Weg bringen wird. CHRISTIAN RATH