Ein Beitrag zur Aufklärung

Zur Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin: Angesichts des Machtkampfes im Iran ist es absurd, den Organisatoren jetzt Naivität und Fahrlässigkeit vorzuwerfen

Die Stiftung ist verpflichtet, sich in Ländern einzumischen, in denen Menschenrechte verletzt werden

Seit einigen Jahren vollzieht sich im Iran ein kultureller und gesellschaftlicher Wandel, der weit tief greifender ist als ein bloßer Machtkampf zwischen Konservativen und Reformern. Es geht um den Sprung von der Tradition in die Moderne, um eine Neuinterpretation des Islam, um Gleichberechtigung, Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie, und es geht um die Suche nach einer neuen Identität, die durch die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Tradition gefunden werden soll. Die Bewegung, die den Wandel vollzieht, verabscheut jede Form von Gewalt, sie will auf legalem Weg und durch Reformen ihr Ziel erreichen. Sie hat 1997 den konservativen Machthabern eine erste Abfuhr erteilt und Chatami zum Präsidenten gewählt; sie hat 1999 bei den Kommunalwahlen einen hohen Sieg errungen und im März 2000 mit der Eroberung der absoluten Mehrheit im Parlament einen politischen Erdrutsch verursacht. Diese Bewegung hat nicht nur für den Iran, sondern für die gesamte islamische Welt einschneidende Konsequenzen.

Ist sie nicht interessant genug, um ihren Inhalt und ihre Ziele der Öffentlichkeit zu vermitteln? Genau dies hat die Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt getan. Sie hat 17 namhafte, regierungsunabhängige Persönlichkeiten, die verschiedenen säkular und religiös orientierten Fraktionen der Reformbewegung angehören, zu einer dreitägigen Konferenz nach Berlin eingeladen. Dabei sollte man erwähnen, dass diese Fraktionen bisher im Iran keine Möglichkeit zu einem öffentlichen Dialog hatten. Gleich nach dem Sieg der Revolution hatten die neuen islamischen Machthaber zwischen den säkularen und religiösen Strömungen eine hohe Mauer errichtet, die bis heute aufrechterhalten worden ist. Die Reformer im islamischen Lager wissen jedoch sehr wohl, dass sie ohne die Öffnung nach innen niemals ihr Ziel erreichen werden. Nicht zufällig lautet ihre Parole: „Iran den Iranern!“

Die geladenen Gäste, bei denen man die genaue Kenntnis der politischen Lage im Iran voraussetzen kann, haben bewusst das Angebot der Böll-Stiftung zum Dialog wahrgenommen. Das Programm der Konferenz wurde Wochen vor Beginn veröffentlicht, auch in der iranischen Presse war die Ankündigung zu lesen. Die iranische Botschaft in Berlin erhielt das Programm zur Kenntnisnahme. Einige Konferenzteilnehmer haben nach eigenen Angaben das iranische Außen-, ja sogar das Informationsministerium über ihre beabsichtigte Teilnahme informiert. Beide Ministerien hatten keine Einwände gegen die Reise vorgebracht, selbst dann nicht, als bekannt wurde, dass ein paar Gruppen im Ausland Proteste gegen die Konferenz angekündigt hatten. Denn solche Proteste sind seit Jahren bei öffentlichen Auftritten von Amtsträgern und bekannten Wortführern der Reformbewegung im Ausland zum Ritual geworden. Zwei Beauftragte der Stiftung erhielten unter Angabe des Reisezwecks von der iranischen Botschaft die Einreiseerlaubnis in den Iran. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass der Geheimdienst über ihre Reise informiert war. Doch sie konnten unbehelligt sämtliche Teilnehmer kontaktieren und ohne Probleme ausreisen. Bis zum Beginn der Konferenz gab es niemanden, der der Stiftung von ihrem Vorhaben abgeraten hätte. Rund 2.000 Iraner kamen aus ganz Europa, ja sogar aus den USA, um der Konferenz beizuwohnen.

Angesichts dieser Vorgeschichte ist es absurd, wenn der taz-Kommentator Daniel Bax und die Korrespondentin der FAZ, Christiane Hoffmann, der Heinrich-Böll-Stiftung Naivität und Fahrlässigkeit vorwerfen. Liegt die Fahrlässigkeit etwa darin, dass die Stiftung die beiden Journalisten nicht zuvor um Rat gebeten hat? Vielleicht doch. Denn dann hätten sie in weiser Voraussicht von der Konferenz abgeraten, und die Reformbewegung hätte ohne Widerstand der Rechten weitergeführt werden können! Was für ein Versäumnis!

Erstaunlich scheint mir dennoch die Argumentation. Daniel Bax führt die Folgen der Konferenz auf eine „grundsätzlich falsche Strategie in Sachen Kulturaustausch“ zurück und wirft die Frage auf, „ob es für die Grünen-nahe Stiftung Sinn macht, eine Tagung so dezidiert in den Dienst einer politischen Parteinahme zu stellen“. Der Autor meint also, es sei grundsätzlich falsch gewesen, die Reformer einzuladen, und die Stiftung solle sich hüten, die Nase in innere Angelegenheiten anderer Länder zu stecken. Solcherlei staatsmännische und diplomatische Äußerungen habe ich selten in der taz gelesen. Ich möchte mit Verlaub widersprechen. Selbstverständlich ist eine politische Stiftung, die sich international für die Verwirklichung humaner Ziele und Menschenrechte einsetzt, dazu verpflichtet, sich gerade in Angelegenheiten der Länder einzumischen, in denen Unterdrückung herrscht und die Menschenrechte eklatant missachtet werden. Und sie ist ebenso dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit im eigenen Land über die Vorgänge in diesen Ländern zu informieren.

Sicherlich hat es bei der Konferenz organisatorische Fehler gegeben. Aber es wäre naiv zu glauben, die Rechten hätten ohne diese Fehler anders gehandelt. Die ganzen Vorgänge nach der Konferenz, die breit angelegte Kampagne gegen die Reformbewegung, der Schauprozess gegen die Teilnehmer und die harten Urteile zeigen doch eindeutig, dass die Konferenz nur ein Vorwand war. Das weiß jedes Kind im Iran. Und jedes Kind weiß auch, dass man den Journalisten Gandji nicht zu zehn Jahren Haft und fünf Jahren Verbannung verurteilt hat, weil er an der Konferenz teilgenommen, sondern weil er die Morde an Oppositionellen aufgedeckt und deren Auftraggeber namentlich genannt hatte. Auch der Geistliche Eshkevari wurde von einem Sondergericht für Geistliche, wie Gerüchte besagen, zum Tode verurteilt, weil er seit Jahren die Trennung von Kirche und Staat fordert. Vielleicht fragen sich die beiden deutschen Journalisten, warum die gesamte liberale Presse im Iran verboten wurde, warum nahezu sämtliche namhaften Journalisten hinter Gittern sitzen. Was haben sie mit der Berliner Konferenz zu tun? Auch die Morde an Dissidenten geschahen nicht nach, sondern lange bevor die Konferenz geplant wurde.

Der Schauprozess und die harten Urteile zeigen, dass die Konferenz nur ein Vorwand war

Natürlich sind die Urteile und das Leid der Betroffenen schrecklich. Dennoch behaupte ich, dass die Berliner Konferenz, wie selten ein Ereignis in den letzten zwanzig Jahren, im Iran viele Tabus offengelegt und einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung geleistet hat. Das letzte Wort über den Stellenwert dieser Konferenz ist noch nicht gesprochen. Dass die Auseinandersetzung zwischen Tradition und Moderne sich verschärfen würde, war vorauszusehen. Über den Ausgang dieses Kampfes kann man spekulieren. Ich bin der Meinung, dass die Rechten zwar in dieser Runde als Sieger hervorgegangen sind. Die Fundamentalisten können das ganze Land auf den Kopf stellen, eine Rückkehr zu alten Zeiten wird es aber nicht mehr geben.

BAHMAN NIRUMAND