Aufbruchstimmung?

Wirtschaftspolitik soll möglichst wieder „an den Bedürfnissen der Menschen orientiert“ sein

von KATHARINA KOUFEN

Wenn sich heute in Davos die Elite aus Wirtschaft und Politik trifft, wird sie zum ersten Mal Konkurrenz haben: Im brasilianischen Porto Alegre kommen zur gleichen Zeit die Gegner der Globalisierung zusammen. Gewerkschafter, Umweltschützer, Marxisten, Kirchengruppen, alternative Wirtschaftsprofessoren – geladen ist, wer nicht zum Davoser Club dazugehört. „Wer darf jetzt von sich sagen, er handle im Namen der Moral?“, fragte der Initiator des World Economic Forum, Klaus Schwab, vorgestern in der International Herald Tribune. Die Teilnehmer am Weltsozialforum in Porto Alegre, das allen denen einen Raum geben will, „die sich für eine Alternative zur neoliberalen Politik einsetzen“? Oder die Teilnehmer am Weltwirtschaftsforum in Davos, dessen „erklärtes Ziel“ laut Schwab auch nicht weniger ist als „die Verbesserung der Welt“?

Noch vor einem Jahr wähnten sich die Herren und Damen im Stübli des Hotel Seehof oder im Diningroom des Schweizerhofs sicher und auf dem richtigen Dampfer: Die Wirtschaft in den USA und in Europa boomte so richtig. In Deutschland hatte der Börsenindex Dax gerade die 8.000-Punkte-Marke übersprungen – mittlerweile liegt er wieder weit unter 7.000 Punkten. Am Neuen Markt wurden Märchen Wirklichkeit: 1.000 Mark ließen sich über Nacht in 2.000 oder gar 10.000 Mark verwandeln. „Es geht aufwärts“, äußerte sich Schwab zufrieden in Davos. Und stellte das Treffen unter das Motto „Ein neuer Anfang – wir machen was Neues“. Aufbruchstimmung.

Die ist ein Jahr später verflogen. Die Börsenkurse sind eingebrochen, von New York über Frankfurt bis Tokio. Nach ihrem Höhenflug setzt die US-Wirtschaft nun zur Landung an – und die wird womöglich hart ausfallen. Entsprechend sind die Themen, die dieses Jahr in Davos auf der Tagesordnung stehen: die steigenden Ölpreise und die Gefahren, die damit verbunden sind; die am Neuen Markt notierten Biotec- und Internetfirmen, deren Aktienkurse in den letzten Wochen wie Steine gefallen sind; die Zukunft der US-Wirtschaft nach dem Boom; die Überwindung einer neuen Kluft zwischen Internetnutzern und denen, die keinen Zugang haben.

Aufbruchstimmung herrscht dafür auf der anderen Seite der Halbkugel. In Porto Alegre soll fortgesetzt werden, was in Seattle begann. Dort hatten im Dezember 1999 mehr als 50.000 Menschen gegen die Welthandelsorganisation protestiert. Das WTO-Treffen gilt als Geburtsstunde einer neuen Bewegung von Menschen, die sich gegen die Globalisierung wehren. Und dagegen, wie Globalisierer Entscheidungen treffen.

Zum Beispiel in Davos: Was Schwab als „einzigartigen Geist von Davos“ beschreibt, als „einmalige Clubatmosphäre, die sehr hilfreich ist, wenn Schlüsselfragen von globaler Relevanz diskutiert werden“, sieht man in Porto Alegre laut Homepage als Arroganz eines „elitären Clubs, der hinter verschlossenen Türen die wichtigsten Weichen stellt“. Die Idee zur Uruguay-Runde etwa, in deren Folge 1994 die WTO entstand, wurde in einem Davoser Hinterzimmer ausgebrütet.

In Porto Alegre soll es transparenter zugehen. Geladen sind Nichtregierungsorganisationen (NGOs), kommen darf aber, wer will. „Meinetwegen kann auch der Weltbankchef vorbeischauen“, sagt Mitveranstalter Jorge Cruz. Entgegen den Wünschen der Gewerkschaftler und NGOs vor Ort werden das kaum Menschen aus Asien und Afrika sein, sondern überwiegend Europäer. Nur ein Sechstel der rund 3.000 Anmeldungen stammt von Lateinamerikanern. Geplant sind Workshops und Vorträge darüber, wie die Wirtschaftspolitik wieder „an den Bedürfnissen der Menschen orientiert“ werden kann – und nicht an der Rendite des Kapitals. „Nicht das Wachstum, sondern die Wohlfahrt der Menschen sollte im Mittelpunkt stehen“, heißt es in einem Thesenpapier des Umweltverbands Friends of the Earth.

Ein Satz, den die „Davos Men“ wahrscheinlich auch unterschreiben würden. Jene Herren also, die der Autor Richard Sennett in seinem Buch „Der flexible Mensch“ zum Inbegriff profitorientierter Geschäftsleute gemacht hat. Ein „Davos Man“ würde dem Satz aber hinzufügen, dass Wirtschaftswachstum zu mehr Wohlstand für alle führen müsse – automatisch. Und in Porto Alegre würde man sagen: Umverteilung ist wichtiger als Wachstum.

Wer hat Recht, die Globalisierer in Davos oder deren Gegner? „Natürlich stimmen wir mit denen, die nach Porto Alegre fahren, überein“, sagt Greenpeace-Chef Thilo Bode. Aber genau deshalb wollen er und 70 andere, die eigentlich auf der Seite der Gegner stehen, lieber nach Davos. Denn: „Hier in Davos habe ich die einmalige Chance, einen Gegner von Gleich zu Gleich kennen zu lernen.“ Vielleicht setzt diese Einstellung sich durch – und Herr Schwab reist nächstes Jahr nach Porto Alegre statt nach Davos.

Infos: Weltwirtschaftsforum: www.weforum.org; Weltsozialforum: www.attac.org