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: CDU: Vorwärts in die Vergangenheit

„Unverfroren, dumm, billig und peinlich.“ Das ist das Urteil des geistlichen Rektors der Katholischen Akademie in Berlin über die von CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer geplante Plakataktion, die Kanzler Gerhard Schröder in der Art von Fahndungsfotos zeigt und ihm Rentenbetrug vorwirft. Gestern zog die Partei das Plakat aus dem Verkehr.

Arme CDU. Seit dem Abtritt ihres Leitwolfes Helmut Kohl irrlichtert sie mit dem Führungstrio Merkel, Merz und Meyer unbeholfen durch die politische Landschaft. Ob BSE-Krise, Uran-Affäre, umstrittene Rentenreform oder Umbildungen im Kabinett Schröder – aus keinem dieser Themen kann sie politisches Kapital schlagen.

Den Christdemokraten fehlt es an einer Vorstellung von der Zukunft. Und es fehlt ihr heute ein Visionär, wie etwa Heiner Geißler Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre. Geißler stand nicht nur für den polarisierenden Slogan „Freiheit oder Sozialismus“, sondern entdeckte auch für seine Partei die neue soziale Frage.

Wer keine Vorstellung von der Zukunft hat, begeht häufig Suizid oder vergräbt sich in der Vergangenheit. Was macht die CDU? Geißler hat die Gefahr erkannt und seine Partei jüngst gewarnt: Fallt mit der Debatte um die Vergangenheit Joschka Fischers nicht hinter den Stand von 1968 zurück.

Tatsächlich sucht die CDU derzeit Rettung in der Gedankenwelt und dem Oppositionsmodell der frühen 70er-Jahre. Damals lautete die Botschaft der Union: Wir sind die einzigen legitimen Vertreter der Republik. Der sozialliberalen Koalition mangelte es angeblich an demokratischer Zuverlässigkeit und an dem notwendigen honorigen Auftreten, um das Land anständig und deshalb mit Berechtigung zu regieren. In einer Diffamierungskampagne versuchte die Union Kanzler Willy Brandt zu diskreditieren, in dem sie ihn als uneheliches Kind und Emigrant, also familien- und vaterlandslosen Gesellen stigmatisierte.

Die aktuelle Kampagne gegen Fischer, Trittin und nun auch Schröder ist ein Revival. Erneut konstruiert die CDU ein innerstaatliches Feindbild. Heute will sie den Bürgern weismachen: Die rot-grüne Regierung ist illegitim, sie wird von halbseidenen Figuren geführt, die weniger Repräsentanten der Gesellschaft sind als vielmehr Gewalttäter (Fischer), Semiterroristen (Trittin) und Gangster (Schröder).

1972 erhielt die Union die Quittung. Nach ihrem Misstrauensvotum gegen Willy Brandt fuhr dieser einen grandiosen Wahlsieg ein. Auch heute sieht die Union schon wieder alt aus. Joschka Fischer bleibt bei den Bürgern populär, die Regierung sattelfest. Und die Opposition erweckt nicht mehr nur bei der katholischen Kirche den Eindruck, unverfroren, dumm, billig und peinlich zu sein. EBERHARD SEIDEL