„Dummheit“ entsteht in Hamburg

■ Zur Keimzelle literarischer Produktion wollen die Nachwuchsförderungsprojekte des Schauspielhauses werden

Transparenz ist schön. Macht aber viel Arbeit. Und für zartbesaitete Autoren – solche, die ihr Werk lieber erst nach Fertigstellung der Öffentlichkeit preisgäben – ist das „Schreibtheater“-Projekt des Schauspielhauses sowieso nicht geeignet: „Wir wollen den Schreibvorgang transparent machen“, betont Projektleiter und Dramaturg Andreas Beck. Die langsam Gestalt annehmenden Stücke der HausautorInnen – der Schwedin Lucia Cajchanova, des Argentiniers Ra-fael Spregelburd und des Franzosen Lionel Spycher – stellte Beck jetzt offiziell vor (siehe taz vom 27.12.2000): Cajchanovas surreales Drittes Zimmer, Spychers Pit-Bull und 9 mm sowie die ersten beiden Teile – die Appetitlosigkeit und die Überspanntheit – des am Hiernoymus-Bosch-Gemälde orientierten Zyklus Die sieben Todsünden von Spregelburd werden in der ers-ten Jahreshälfte zu sehen sein; Teil drei (Bescheidenheit) ist schon fertig; die Dummheit entsteht gerade – „natürlich rein zufällig hier in Hamburg“, so Beck süffisant.

Ohne Süffisanz ist aber sein Anliegen, in Deutschland wenig bekannten ausländischen Autoren Freiräume zu schaffen, „denn Schriftsteller, von denen nicht sicher ist, wie sie in Deutschland ankommen, werden von den Verlagen künftig wohl noch weniger gefördert“. Doch im Grunde sind auch Projekte wie des Schauspielhauses neue Reihe Stück:gut vorsichtige Erkundungen von Öffentlichkeitswirkung: Einmal monatlich sollen ab 24. Februar Texte unter anderem vom Jens Rooselt und Susanne von Lohuizen präsentiert werden.

Der Förderung bereits durch Verlage vertretener Nachwuchsautoren dienen sollen dagegen die Werkstatttage; die Verfasser der überzeugendsten Arbeiten sollen im Mai zu vierzehntägigen Arbeitstagen nach Hamburg geladen werden. Noch weiter in die Keimzellen literarischen Schaffens will das Jugendschreibprojekt, das der Theaterpädagoge Michael Müller gemeinsam mit dem britischen Dramatiker David Spencer betreut, dessen Schreibprojekte in britischen Gefängnissen Aufsehen erregten. Schreibworkshops mit Schülern aus Billstedt, Wilhelmsburg, Bahrenfeld und Winterhude sollen bis Juni im Schauspielhaus stattfinden, in denen „ausschließlich handwerkliche Fertigkeiten vermittelt werden“, wie Müller betont. Ergebnis sollen Lesungen, Backstage-Aufführungen im Schauspielhaus oder Inszenierungen in den Schulen sein.

Stilistische Fähigkeiten anderer Art werden die Verfasser der Telefonstücke brauchen, mit denen Beck unter anderem Franzobel, Andreas Marber und Kristof Magnusson beauftragt hat. Das Ziel: endlich mal was anderes in der Telefon-Warteschleife als Beethovens „Für Elise“... P. Schellen