Von Strömung zu Strom

Die Entwicklung von Meeresströmungskraftwerken steckt noch in den Kinderschuhen. Für das geplante deutsch-britische Gemeinschaftsprojekt Seaflow fehlen noch die Fördermittel. Nächstes Jahr soll die Anlage stehen

Was sich in der Luft vorzüglich dreht, müsste auch unter Wasser Energie gewinnend rotieren können, sagte sich Professor Jürgen Schmid. Gemeinsam mit anderen Fachleuten für regenerative Energien und unterstützt vom Know-how der deutschen Windkraftwirtschaft begann der Leiter zweier Energieinstitute an der Gesamthochschule Kassel, die Entwicklung eines Meeresströmungskraftwerks voranzutreiben. „Seaflow“ war geboren, ein Gemeinschaftsprojekt von deutschen und britischen Forschern, das eigentlich schon im vergangenen Jahr vor der Küste Cornwalls im Bristol Channel installiert werden sollte.

Eigentlich, denn dann kam doch alles ganz anders als erwartet. Nach der schnellen Zusage der EU, Mittel aus dem Joule-Programm zur Förderung nichtnuklearer Energien zuzuschießen, war erst einmal Schluss. Zusagen von deutscher wie britischer Seite liegen noch nicht vor. Das Pilotprojekt steckt allenthalben in der Planungsphase. Jochen Bard, Leiter des deutschen Projektanteils, zeigt keine Ungeduld. Beinahe schmunzelnd erklärt er das Zögern in den Ministerien: „Es gibt halt noch keinen Fördertopf für Meeresströmungskraftwerke.“ Zuversichtlich ist Bard, dass das Warten auf die insgesamt 7 bis 8 Millionen Mark bald ein Ende hat. Noch im Frühjahr rechnet er mit der Förderungszusage seitens des deutschen Wirtschaftsministeriums.

In England drehen sich die Rotorblätter langsamer. Obwohl schon viel über Kosten und Nutzen solch einer Anlage gesprochen und geschrieben worden ist, haben die Briten noch einmal eine Studie vorgeschoben, um sich zu versichern, dass alles auch tatsächlich wirtschaftlich nutzbar ist. Eine Gefährdung für das Projekt sieht der deutsche Experte nicht. Nur einen Aufschub. Ende März dürfte die Studie abgeschlossen sein. Im Laufe des Sommers rechnet er mit der Zusage: „Dann kann Seaflow im nächsten Jahr stehen.“

Britische und deutsche Wissenschaftler sind davon überzeugt, mit der Anlage ein unerschöpfliches Energiepotenzial anzapfen zu können – die Meeresströmungen. Anders als bei den bisher bekannten Anlagen wie zum Beispiel der Urmutter der Strömungskraftwerke von der Küste von St.-Malo arbeitet Seaflow mit der Natur, ohne sie manipulieren zu wollen. Hier wird der Tidenhub nicht angestaut, um dann mit Wucht und Verwirbelungen wieder ausgespuckt zu werden. Meeresflora und -fauna sollen diesmal nicht gestört werden. Man müsse sich Seaflow wie ein im Wasser stehendes Windrad vorstellen, sagt Bard. Die Rotoren werden etwa zehn Meter unter der Wasseroberfläche von der Gezeitenströmung angetrieben. „In den starken Strömungsgebieten halten sich wenig Meerestiere auf, so dass deren Lebensraum nicht beeinträchtigt wird.“ Bei dem Boden, auf dem Seaflow gründen soll, handelt es sich um nackten Fels, also um „kein empfindliches System“. Ein weiterer Vorteil der Anlage: Selbst Stürme gefährden die Standfestigkeit kaum, denn dort, wo Seaflow verankert ist, bläst kein Lüftchen, und auch die Strömung verändert sich durch über der Oberfläche tobende Gewalten kaum. Was bleibt, ist ein Restrisiko. Chemikalien und Schmierstoffe seien zwar nur in geringen Mengen vorhanden – „aber nicht wegzudiskutieren“. Mit Verve werde aktuell daran gearbeitet, diese Gefährdung zu minimieren.

Seaflow ist noch nicht installiert, doch schon jetzt stehen Wissenschaft und Wirtschaft in den Startlöchern. Zwar liegen die größten Potenziale außerhalb Europas, doch auch in Europa seien bislang etwa 100 Standorte bekannt, die sich für die Energiegewinnung aus Meeresströmungen eignen – vor allem entlang der britischen, französischen, portugiesischen und spanischen Küste. Allein für diese Standorte werde eine Leistung von 12.000 Megawatt prognostiziert – das entspräche etwa der Leistung von zehn Atomkraftwerken des Typs Biblis.

Für Deutschland sieht Bard derzeit keine Chance, Meeresströmungen in Strom zu verwandeln. Der Tidenhub und die damit einher gehende Fließgeschwindigkeit seien zu schwach, um – jedenfalls beim aktuellen Stand der Entwicklung – im wirtschaftlichen Rahmen Energie zu erzeugen. Der Nutzen, so Bard, werde sich hierzulande nicht in Megawatt, dafür aber in Heller und Pfennig und vor allem Arbeitsplätzen auswirken. Die internationale Führungsrolle Deutschlands in der Windenergietechnik komme zum Tragen. „Das Knowhow ist vorhanden“, sagt Bard. „Es muss nur an die Kraft- und Dichteverhältnisse im Wasser angepasst werden.“

ANDREA SCHNEIDER