Zwangsarbeiter weiter hingehalten

Amerikanisches Gericht vertagt Entscheidung über letzte Sammelklage ehemaliger Zwangsarbeiter. Der deutschen Wirtschaft kommt das gerade recht: So kann sie sich – wegen der mangelnden Rechtssicherheit – noch länger vor der Zahlung drücken

von NICOLE MASCHLER

Das Votum überraschte selbst die Gegenseite: Shirley Kram, Richterin am US-Bundesgericht in New York, vertagte am Mittwoch die Abweisung der letzten Sammelklage ehemaliger Zwangsarbeiter. Sie habe, sagte die Richterin, Zweifel an dem internationalen Abkommen zur Entschädigung.

In den nächsten zehn Tagen will sie über das Verfahren entscheiden. Sie sei sich bewusst, so Kram, dass es eilig sei. Doch die Richterin habe ihn gefragt, berichtete ein Kläger-Anwalt gestern: „Würden Sie die Klagen abweisen, wenn das Geld nicht zusammen ist?“ Kram verstehe sich als Treuhänderin der Opfer.

Doch die sind in Sachen Entschädigung längst die Verlierer. Denn mit der Vertagung sieht sich die deutsche Wirtschaft, die sich wegen der schlechten Zahlungsmoral massive Kritik anhören musste, wieder auf der sicheren Seite. Schon meldet die Stiftungsinitiative neue Forderungen an: Auch wenn die letzte Sammelklage in den USA abgewiesen wäre, so ihr Sprecher Wolfgang Gibowski, sei Rechtssicherheit noch nicht gewährleistet. „Eine ganze Reihe anderer Fälle“ stehe noch aus.

Tatsächlich hatten nicht alle Opfer der Abweisung zugestimmt, auf die sich die Kläger-Anwälte verständigt hatten. Doch den vier Einzelklagen in der Berufung waren im Vorfeld kaum Chancen eingeräumt worden. Noch Ende Januar, so die Einschätzung von Beobachtern, würden diese abgewiesen.

Auch wenn die Industrie im Stiftungsgesetz fünf Milliarden Mark zugesagt hat – sie sieht sich nicht in der Pflicht, solange die Rechtssicherheit nicht glasklar festgeschrieben ist. Dabei muss diese laut Gesetz nur „ausreichend“ sein. Über die Rechtssicherheit entscheidet der Bundestag, sobald die Sammelklage in den USA abgewiesen ist.

Für Verwirrung sorgte gestern, dass im deutschen Text des Regierungsabkommens zwischen Deutschland und den USA die Auszahlung nicht an den Bundestagsbeschluss geknüpft ist – im Gegensatz zur US-Fassung. Nur diese ist aber unterzeichnet und hat demnach Rechtskraft, sagte der Kuratoriumsvorsitzende Dieter Kastrup in Berlin. Formal ist die Initiative im Recht. Doch nicht moralisch. Das Problem ist schließlich erst entstanden, weil die Wirtschaft den zugesagten Anteil immer noch nicht beisammen hat.

In der nächsten Woche sollen die Verträge mit osteuropäischen Partnerorganisationen, die das Geld verteilen, unterzeichnet werden. Wenn, ja wenn die leidige Frage der Rechtssicherheit nicht wäre. Schon beriet das Kuratorium auf seiner gestrigen Sitzung darüber, die Antragsfrist für Entschädigungsberechtigte von bisher acht Monate auf ein Jahr zu verlängern.

„Unser Ehrgeiz ist, wenige Tage nach dem Signal des Bundestages mit den Auszahlungen zu beginnen“, so Kuratoriumschef Kastrup. Auf die Frage, ob er glaube, dass die Wirtschaft im März zahle, antwortet er knapp: „Ja“. Doch die Wut ist ihm anzusehen. Seine Mimik verrät, dass er am liebsten nein gesagt hätte.