Der Machtmensch am Ziel

Zoran Djindjić, serbischer Regierungschef und Kopf des Oppositionsbündnisses, ist auch dank seines Gespürs für politische Stimmungen an der Macht

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Gut sieht er aus. Jugendlich und sportlich gekleidet, unterscheidet sich Zoran Djindjić, der 48-jährige Ministerpräsident Serbiens, auf den ersten Blick von den meisten seiner urigen, national-mystischen Vorgänger ebenso wie von der nichts sagenden Gefolgschaft von Slobodan Milošević. Nicht nur wegen seiner kurzen, grauen Haare erinnerte Djindjić an Bill Clinton. In Gestik und Auftreten hat er sich offensichtlich von den Wahlkampagnen des US-Präsidenten inspirieren lassen. Vor allem junge Menschen konnten sich während des vergangenen wüsten Jahrzehnts in Serbien mit ihm identifizieren.

„Ich bin ein Demokrat, ich gehöre der europäischen Kultur an. Ich schaudere vor Asien, vor allem Despotischen“, sagte Djindjić schon zu einer Zeit, als sich die international isolierte, vom Westen verhöhnte serbische Führung immer enger an China knüpfte. Als Mitbegründer der Demokratischen Partei setzte sich Djindjić für die Ideen der bürgerlichen Demokratie ein. Noch 1988 unterstützte er die Albaner im Kosovo und widersetzte sich dem aufkommenden Nationalismus.

Der steile politische Aufstieg von Djindjić begann jedoch 1994, als er seinen damaligen Parteichef, Dragoljub Micunović, heute Präsident des jugoslawischen Bundesparlaments, ablöste, weil dieser „ungenügend die nationalen Interessen der Serben“ berücksichtigt habe. In dem Augenblick, in dem Slobodan Milošević angefangen hatte, den Friedensbringer zu spielen und mit der internationalen Gemeinschaft bezüglich Bosnien zu kooperieren, erwachte in Djindjić sein „nationales Bewusstsein“. Er glaubte wohl, den Hals über Kopf bekehrten Nationalisten Milošević von der nationalistischen Seite erfolgreicher angreifen zu können. Djindjić unterstützte offen die Führung der bosnischen Serben, angeführt von Radovan Karadžić, denn „in turbulenten Zeiten, in denen Staaten auseinander fallen, muss man den Serben helfen, keine bedrohte Minderheit in einem anderen Land zu bleiben“. Viele wollen Djindjić heute noch nicht den Ochsen am Spieß verzeihen, den er in den Bergen oberhalb des belagerten Sarajevo mit serbischen Heckenschützen verzehrte.

Böse Zungen meinten Mitte der Neunziger, man müsse täglich Zeitung lesen, um zu erfahren, was Djindjić politisch gerade denkt. Selbst seine Anhänger warfen ihm vor, er sei übertrieben pragmatisch, was ihm langfristig schaden werde. „Ich bin kein Pragmatiker“, entgegnete Djindjić, „denn dann wäre ich nur ein Technokrat. Ich habe aber Visionen – in der ungelösten serbischen Frage, des Staates und der Wirtschaft. Den Vorurteilen der Bevölkerung begegne ich mit der europäischen demokratischen Tradition.“

Für den Professor der Philosophie, der in Konstanz promoviert hat und fließend Deutsch spricht, ist „Macht eine Herausforderung, eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und Programme und Ideen zu verwirklichen“. Deshalb nimmt er bewusst Vorverurteilungen in Kauf: „Heute kann in Serbien ohne ausgeprägten nationalen Zug kein Politiker, keine Partei von einer Mehrheit träumen. Weltläufigkeit kann hier die Emotionen der Menschen nicht befriedigen, ebenso wenig wie in europäischen Ländern.“ Mit der nationalen Taktik kam Djindjić jedoch nicht voran in seinem Kampf gegen das Regime Milošević. Nach den Luftangriffen der Nato auf Jugolsawien im Frühjahr 1999 verzichtete er endgültig auf jegliche nationalistischen Phrasen. „Milošević ist ein Despot, der Serbien ruiniert hat. Wir wollen in einem demokratischen europäischen Staat leben. Deshalb muss Milošević weg“, formulierte Djindjić einfach und allen einleuchtend sein Ziel. Er erkannte als erster Oppositionspolitiker, dass Milošević nur auf der Straße entmachtet werden kann. Seitdem versuchte er zielstrebig und ausharrend die „kritische Masse“ mit der „Demonstration aller Demonstrationen“ in Serbien auf die Beine zu bringen. Er stellte sich an die Spitze der Demonstranten vor die Knüppel der brutalen Polizei und scheiterte vorerst.

Bis er sich mit Vojislav Koštunica und siebzehn anderen Parteien und Bündnissen in der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) verbündete. Djindjić gilt als der Organisator und Führer des Volksaufstandes vom 5. Oktober 2000. Er wusste, dass man selbst einen Bürgerkrieg in Kauf nehmen muss – aber Milošević musste ausgeschaltet werden, bevor er alle demokratischen Kräfte in Serbien beseitigt.

Als Djindjić einige Tage nach dem geglückten Volksaufstand mit spitzbübischem Lächeln eine Flasche Moët & Chandon öffnete und den Champagner seinen Mitkämpfern aus dem Bündnis DOS kredenzte, sah man ihm an, dass er sich am Ziel fühlte. Der Philosoph mit dem ausgeprägten Sinn für Praktisches hatte es endlich geschafft: Er war an der Regierungsspitze in Belgrad angelangt.

Zu Recht war Djindjić dem Regime von Milošević stets ein besonders großer Dorn im Auge. Denn er war nicht nur ein populärer serbischer Oppositionsführer, er stieß auch in Europa auf Gefallen und war deshalb gefährlicher als seine Kollegen.

Die politische Szene Serbiens prägt heute der unterdrückte Konflikt der neuen Herren Serbiens – zwischen dem pragmatischen, sachlichen, modern denkenden Zoran Djindjić und dem beliebten Präsidenten Vojislav Koštunica, der konservativ und tief religiös ist. Djindjić besetzt den mächtigsten Posten im Lande. Koštunica ist viel populärer in der Bevölkerung – nach Slobodan Milošević ein richtiger neuer Volksführer mit einem spezifischen Charisma, doch mit einem ausgeprägten Sinn für Demokratie.

Umstritten ist vor allem, dass sich Koštunica offen und unnachgiebig gegen eine Auslieferung von Milošević & Co an das Den Haager Kriegsverbrechertribunal einsetzt – er hält es für ein „politisches Instrument der amerikanischen Administration“. Zoran Djindjić, der das Tribunal ebenfalls kritisiert, meint jedoch: „Wir werden unter gar keinen Umständen unseren Anschluss an Europa und internationale Investitionen aufs Spiel setzen. Wenn wir gezwungen werden zu wählen, dann werden wir natürlich voll und ganz mit dem Tribunal kooperieren.“