Führung der CDU im Elend vereint

Herr, gib Führungskraft! Die Union ist verunsichert: Herrscht in der Partei nun lähmendes Entsetzen oder bricht eine veritable Krise offen aus?

Von BETTINA GAUS

„Merkel gegen Schröder? Das wird ein Kulturkampf!“ So begeistert wie vor ein paar Monaten haben konservative Politiker dieses Wort bei anderen Gelegenheiten nur selten benutzt. Ein Kulturkampf, bei dem die Konservativen einmal nicht auf der Seite der Bewahrer stehen, sondern sich als aufgeschlossene Modernisierer präsentieren dürfen? Eine junge, unkonventionell wirkende Frau gegen einen alternden, männlichen Berufspolitiker? Was für eine Chance! Einige glückliche Wochen lang bekamen Unionsabgeordnete aller Flügel bei dieser Vorstellung glänzende Augen. Dieser Glanz ist inzwischen bei den meisten erloschen.

Frischer Wind war seinerzeit von einem Wechsel an der Führungsspitze erwartet worden. Parteistrategen hofften auf eine wählerwirksame Arbeitsteilung. Dem zur Polarisierung neigenden Fraktionschef Friedrich Merz war die Aufgabe zugedacht, vor allem Stammwähler an die Union zu binden. Die CDU-Vorsizende Angela Merkel hingegen sollte als auffallend untypische Vertreterin der Unionsspitze jene zusätzlichen Stimmen einfahren, die aus den Reihen der Wechselwähler für einen Sieg gebraucht werden. Die Rechnung ging bislang nicht auf – und ist darüber hinaus ohne die Wirte gemacht worden: „Ein Problem ist, dass die Repräsentanten von Partei und Fraktion zu wenig miteinander reden“, meint ein CDU-Politiker. Ein anderer: „Die beiden waren von Anfang an Konkurrenten.“

Angela Merkel kämpfte in diesem Zusammenhang stets bergauf: Die aus Mecklenburg-Vorpommern stammende Politikerin konnte niemals auf eine starke Hausmacht innerhalb der Union bauen. Nun sitzt sie im Konrad-Adenauer-Haus und hat viel Umgang mit jenen, die meinen, dass sie vor allem die Konservativen in den eigenen Reihen von ihren Fähigkeiten überzeugen muss. So rückte sie denn sowohl von ihrem anfänglichen Widerstand gegen den umstrittenen Begriff der „Leitkultur“ wie auch von ihrem Wunsch nach Konsens in der Rentenfrage ab. Genützt hat es ihr wenig. Gerade die Hardliner in der Union neigen nicht zur Nachsicht gegenüber professionellen Fehlern.

Wahlniederlage und Spendenaffäre hatten dazu geführt, dass die Union bei der Kür ihrer derzeitigen Führung eine ganze Generation von Politikern übersprang. Aber die begrenzte berufliche Erfahrung der Neuen forderte ihren Preis: Friedrich Merz erlebte sein Waterloo, als die Länder ihm beim Widerstand gegen die Steuerreform nicht folgen mochten. Angela Merkel hat bei der Wahl ihres Generalsekretärs im ersten Anlauf keine glückliche Hand bewiesen. Einen „zweiten Missgriff“ könne sie sich nicht leisten, verkündete Laurenz Meyer frohgemut als Zweiterwählter. Und nährte damit sogleich den Verdacht, es könne sich bei ihm um genau diesen Missgriff handeln.

Dabei hatte Angela Merkel nicht viele Kandidaten zur Auswahl: Sie brauchte jemanden, der sowohl über Erfahrung mit dem trockenen Brot der Oppositionspolitik verfügte als auch im Haifischbecken der bundespolitischen Berichterstattung zu schwimmen verstand. Eine solche Person gab es nicht. Also entschied sie sich für den nordrhein-westfälischen Landespolitiker Meyer – und gegen die Erfahrung auf Bundesebene. Falls das ein Fehler gewesen ist, lässt er sich allerdings kaum noch rückgängig zu machen: „ Im Moment stabilisieren sich Merkel, Merz und Meyer im Elend gegenseitig“, heißt es aus Unionskreisen.

Die neue Spitze kann es nicht: Dieser Verdacht bestand schon vor dem Debakel um das zurückgezogene CDU-Wahlplakat, auf dem der deutsche Bundeskanzler wie ein zur Fahndung ausgeschriebener Verbrecher abgebildet war. Jetzt sehen sich manche in diesem Verdacht bestätigt. Herrscht in den Reihen der Union nun lähmendes Entsetzen – oder wird eine Führungskrise sichtbar?

In der Bundestagsfraktion gehen die Meinungen auseinander. „Beides trifft zu“, sagt ein Abgeordneter. „Aber beides bringt ja nichts.“ Als Symptom der „Unsicherheit“ in Zeiten des Umbruchs wertet ein anderer die Situation. Ein dritter hält die Lage wiederum für gar nicht so bedrohlich: „Man darf so etwas nicht überdramatisieren. Ein solches Plakat ist ein Fehlgriff. Aber deswegen muss niemand gleich zurücktreten.“

Zumal nach Rücktritten mögliche Nachfolger parat stehen müssen. An geeignetem Führungspersonal aber mangelt es der Union derzeit. Hessens Ministerpräsident Roland Koch, als Hoffnungsträger für den Wahlkampf des Jahres 2006 gehandelt, gilt für die nähere Zukunft als allzu sehr belastet durch die Spendenaffäre. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber hat im Zuge der BSE-und Schweinefleischaffäre einen erheblichen Imageverlust erlitten. Nach ehemaligen Spitzenkräften wie Volker Rühe mag dennoch niemand rufen: Bloß nicht zurück in die Vergangenheit.

Für Wahkämpfer ist die Lage insgesamt somit wenig komfortabel. Eigentlich wollte die CDU in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit den Rentenplänen der Regierung um Stimmen werben. Jetzt muss sie die Frage fürchten, ob Andersdenkende zur Fahndung ausgeschrieben werden sollen. Eine solche Situation hat niemand gern. Sie birgt Sprengstoff für die Zukunft.