Music for Rotweinnipping

■ Tom Liwa sang im Kairo zu seiner Klampfe und störte nicht die speisenden Gäste

O Duisburg, gleißende Stadt, welch mackerige Männer hast Du hervorgebracht (Schimanski und Christoph Daum), welch trompetig schmetternde Sänger (Rudolf Schock) und welch himmlisches Weichei (was hat die Welt eigentlich gegen das Dreiminuten-Ei; mir schmeckt's).

Nicht, dass Tom Liwa nicht singen könnte, etwa im Stile eines Bob-Dylans-Töneverfehlens, aber seine Stimme ist klein, schmal und glibbrig, wie seine Bewegungen auf der Bühne, und bislang konnte noch niemand das wundersame Geheimnis lüften, warum diese Klang gewordene Bescheidenheit für viele Menschen so faszinierend ist.

Wie Neill Young sein, sagte Tom Liwa einmal und meinte damit ein Musikerdasein, das sich nicht auf einen einzigen Sound festlegen lässt. Schon die Flowerpornoes, als deren Sänger Liwa bekannt wurde, switchten munter zwischen sentimentalen Balladen und Krach.

Später machte er die Bühnenmusik für eine Inszenierung von Bertolt Brechts gutem Menschen von Sezuan, war neben Christian Brückner beteiligt an einer spektakulären Platte des „Tim Isfort Orchesters“, begleitete den versoffen-krähenden Gott meines taz-Kollegen „zott“, Kevin Coyne, und entsetzte letztes Jahr nicht wenige seiner einstigen Fans mit seiner ersten Soloplatte „St. Amour“. Der Mann und seine Gitarre, so einsam wie John Wayne und sein Pferd in der Prärie, das fanden viele Leute im Zeitalter des TripHop nicht besonders zeitgemäß. Ist es auch nicht, zum Glück.

Im Kairo ist er gerne und oft gesehener Gast. Mittlerweile spielt er alleine und die Tische müssen nicht mehr weggeräumt werden: Es ist Musik zum Sitzen und Rotweinnippen. Zu Zufallsgästen, die nicht wegen Liwa sondern Linsensuppe kamen, sagte der Mann an der Kasse: „Das Konzert ist leise, gehen Sie in den Wintergarten, Sie werden nicht gestört.“

Notorischen Gefühlsverweigerern gilt Liwa als kitschgefährdeter Romantiker und „Möchtegernlyriker“. Denn er hat die Chuzpe, ein Lied schon mal „Herz aus Stein“ zu nennen. Gar manche Liedzeile wandert hinaus in die Natur und könnte gefederkielkritzelt sein von Freiherr von Eichendorff. Und immer ist da irgendein Gefühl. Aber das „Möchtegern“ ist falsch. Die Texte schweifen mit schöner Unberechenbarkeit von Bild zu Bild. Sie sind durchtränkt von einem stillen Humor und immer gackert da irgendwer im Publikum verstohlen sein Bierglas an – war wohl an irgendeinen Schwank seines Lebens erinnert.

Wer sich von der Qualität der Texte überzeugen möchte, sei verwiesen auf www.tomliwa.de. Eine krakelige Kinderzeichnung führt durch die Website. Klickt man auf „Sprachland“, landet man bei sämtlichen Songtexten, schwarze Buchstaben auf weißem Hintergrund, sonst nichts, so schnörkellos wie die Musik. Dafür gibt's unter „Ostflügel“ herrlich verschrobenes Bildmaterial.

Der häufige Verweis „Diese Seite ist noch nicht gestaltet“ beweist uns den guten, verschluderten Geist hinter dieser Schöpfung. Kaum zu glauben, dass der Mann im Alter von 15 Jahren mal akribisch ein Fanalbum anlegte, wo er jeden Zeitungsschnipsel über den MSV Duisburg ablegte.

Heute gelingt es ihm, selbst beim Covern eines Bombastlieds von Pink-Floyd gütig und milde zu wirken. Und natürlich zerzaust. bk