Wenn Hunde nach Sabaka klingen

■ Die Vorschau: Vladimir Vertlib liest heute aus seinem Roman „Zwischenstationen“

Er kommt aus Salzburg. Seit 1981 lebt er in Österreich. Vorangegangen war eine fast zehnjährige Odyssee des 1966 geborenen Leningraders durch diverse Länder. Man kommt kaum um das Autobiografische herum, so sehr scheinen entsprechende Erfahrungen in die Romane des Prosaautoren, Essayisten und Kritikers eingegangen. Demnächst erscheint sein dritter Roman „Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur“. „Wo sich meine wahre Heimat befindet“, steht da, „ist eine Frage, die auch ich mir bis heute stelle.“

taz: Hat Vladimir Vertlib, die ersten beiden Romane deuten es an, im Schreiben sich dieser „Heimat“ wenigstens angenähert? Und, verzeihen Sie die Frage, schöpft er dabei auch aus autobiografischem Material?

Vladimir Vertlib: Selbstverständlich schöpfe ich auch aus persönlichen Erfahrungen. Wobei meine Texte oft so aufgebaut sind, dass das Fundament und vielleicht auch die Außenmauern biografisch erscheinen, während das Interieur, die Feinheiten dann fiktional gestaltet, möglichst spannend und hintergründig sind. Bei den „Zwischenstationen“ war es so, dass sich die Figuren innerhalb des stark biografischen Gerüsts verselbständigt haben.

Zu Beginn eines Kapitels enthüllt der Protagonist Ihres neuen Romans, nicht frei von leiser Ironie, dass Goethes „Werther“ für ihn wichtig war – obwohl er ihn nie gelesen hat. Behaust in der Sprache?

Sicher. Aber es sind mehrere. Deutsch ist für mich Bildungssprache, jene, in der ich mich literarisch ausdrücken kann. Im Russischen könnte ich das nicht, wenngleich es mir emotional näher ist. Das wort „Sabaka“ klingt für mich viel mehr nach Hund als das Wort „Hund“. Das Heimatliche findet sich vielleicht eher im Fabulieren, im Gestalten, im Finden und Erfinden von Geschichten. Es ist auch wahr, dass ich einen Ort in Zwischenräumen finde, aber auch das ist nur eine Facette. Ich mag Grenzregionen. Ganz reale, politische, kulturelle; Gegenden, wo sich Sprachen mischen, wo eine Gleichzeitigkeit und ein Nebeneinander herrscht. Allerdings teile ich diese Vorliebe mit vielen Autoren, die nie emigrieren mussten. Sicher hat es bei mir auch mit einer „Entwurzelung“ zu tun.

Ist es auch eine Gegenbewegung zu den vermeintlich klaren, gleichwohl auf Erzählungen beruhenden Zuschreibungen, die sowohl an die Figuren, als auch an den „russischen“, „jüdischen“ Autor herangetragen werden?

Ja. Nicht im Prozess des Schreibens, aber bei der späteren Lektüre der eigenen Texte habe ich gemerkt, dass in dieser ständigen Grenzüberschreitung die eigentlichen Konturen ein wenig sichtbarer werden. Das macht mich zu einem gewissen Teil aus. Bin ich ein jüdischer Schriftsteller? Das sind Fragen, die ich nicht unmittelbar und eindeutig beantworten kann. Diese Spannung öffnet mir Räume und Sichtweisen, die vielleicht der eine oder andere nicht hat. Gleichzeitig ist es Erschwernis, weil der Blick klarer, kritischer und skeptischer ist, als es mir manchmal angenehm wäre.

Sie erzählen bemerkenswert oft aus der Perspektive von Kindern ...

... weil die einem Erzähler die Möglichkeit gibt, bestimmte Sachen auf den Punkt zu bringen. Ein Kind nimmt die Erwachsenenwelt beim Wort. Dadurch ergibt sich auch dieser ironische Effekt, weil es die Erwachsenenwelt auch als grotesk, eine wenig lächerlich entlarvt. Aber nicht auf eine bösartige Art. Andere machen das viel schärfer als ich, aber es geht mir auch darum, dass wir dieser Welt der Gewissheiten – in Begriffen zum Beispiel – ja auch hilflos gegenüberstehen.

Es gibt mehrere Brechungen, mit denen ich arbeite: Es gibt den Autor, den Erzähler und den Protagonisten, der ja auch bereits erwachsen ist und sich erinnert. Vielleicht erfindet er ja auch noch was hinzu ... Alles wird in einen imaginären Raum gerückt, in dem die Eindeutigkeit von Zuordnungen, von „Wahrheit“ hinterfragt wird. Gerade in dem neuen Buch ist vieles, was Rosa Masur erzählt, erfunden – oder auch nicht. Die Lesenden bleiben vielleicht etwas ratlos zurück. Und das soll auch so sein.

Fragen: Tim Schomacker

Vladimir Vertlib liest heute um 20 Uhr in der Neustadtbibliothek, Friedrich-Ebert-Straße 101/105 aus seinem Roman „Zwischenstationen“