Lakritze aus dem isländischen Kosmos

Grimur Hákonarso komplett: Sein Kurzfilm „Oiko Logos“ ist der erste isländische Science-Fiction und der anschließende Hauptfilm „Vardi goes on tour“ erschließt sich auch als solcher, wenn es um Schweinerock geht

Er ist mit Sicherheit der erste Isländer, der einen Science-Fiction gedreht hat. Grimur Hákonarsons Kurzfilm „Oiko Logos“ aus dem Jahr 2000 spielt irgendwo auf einem fernen Planeten, unschwer erkennbar inszeniert in isländischer Landschaft. Zwei sonderbare große, gekittete Haizähne ragen aus der kargen Lavawüste. Der große Vorsitzende des Alienstammes wird durch eine schwebende grüne Eizelle – einen verirrten Luftballon? – befruchtet. Seine fleischfarbenen amorphen Anhänger, die vornehmlich aus gurkenförmigem Rumpf und einer großen Mundöffnung bestehen, lauschen ohrenlos seiner Botschaft, die er in völlig unbekannter Sprache von sich gibt. Für uns Menschen gibt es zum Glück englische Untertitel. Der Oberalien kündigt einen Ausflug in die Menschenwelt, hier nach Reykjavík an, und das Aufnehmen einer hässlichen Geräuschsituation – gewehrknallende Kinder, Familienterror – führt nach dessen Rückkehr und der Wiedergabe des Gehörten zur gnadenlosen Auslöschung der empfindlichen Wesen.

Der Hauptfilm selbst handelt von Vardi, einem 24-jährigen Musiker und Jazzmusikstudenten mit langen Haaren, Bart und PLO-Tuch um den Hals. Er liebt Ambient Noise und zählt bedingt durch seine spezielle Art zu den vielleicht 0,3 Prozent registrierten Arbeitslosen Islands. Seine Tante überlässt ihm gratis eine kleine Dachkammer, hofft sie doch, dass aus ihm vielleicht noch ein mehrheitsfähiges Wesen auf dem Arbeitsmarkt werden könnte. Denn irgendein Job steht immer zur Verfügung: Kabeljau filetieren in der Fischfabrik, Fassaden anmalen oder Rasen mähen. Doch Vardi ist Vollblutmusiker und trägt lieber seine Musik für Minderheiten auf dem Flohmarkt vor. So rollen isländische Kronen in den Hut, doch leider nicht genug. Er sieht sich letztlich gezwungen, in der Lakritzfirma Topas mit einer Plastiktüte über den Haaren am Fließband zu arbeiten. Ein öder Job. Doch da entdeckt Vardi einen Zettel an der Pinnwand: Die Rockband Topaz sucht noch einen Gitarristen für ihre Tour um das Land. Nun wurde ja in Island 1972 im Zuge einer Rechtschreibreform der Buchstabe „Z“ abgeschafft und durch das „S“ ersetzt. Insofern ließe sich der Sprung von Topas-Lakritz zu Topaz-Rock als eine Reise in die Vergangenheit bezeichnen, nämlich zum guten, alten Schweinerock. Vardi geht jedenfalls mit Topaz auf Islandtournee, als integrierter Fremdkörper sozusagen. Die Topaz-Rocker schwadronieren im altersschwachen Tourbus über geile Miezen, die einem beim erwarteten großen Durchbruch nur so zufliegen würden. Große, tolle Hotelsuites erwarteten dann die erfolgreichen Rockstars und die Anlage brauchten sie nicht mehr selbst aufzustellen, das machen die Rowdies. Klar, nur 5.000 CDs muss man in Island verkaufen, um eine Goldene Schallplatte zu bekommen, aber bei 270.000 Einwohnern ist 5.000 gar nicht mal so wenig. Auf jeden Fall erwarten im Ort Skagaströnd die Rocker von Topaz keine kreischenden Teenies, sondern nur eine leere Halle mit einem alten Pianospieler, dem ein erregter Spitz rubbelnd am Knie hängt. Und in den anderen Orten wird auch nur sehr verhalten gekreischt, Topaz ist halt nicht der große Act.

„Vardi goes on tour“ ist ein ganz wunderbarer Film, eine gelungene Mischung aus Dokumentar- und Roadmovie. Die schwarzhumorige Tragikkomödie bezieht ihre Spannung daraus, dass hier zwei Welten zusammentreffen, die sich eigentlich nicht viel zu sagen haben. Insofern hat Grimur Hákonarson hier einen weiteren Science-Fiction gedreht, einen sehr kurzweiligen dazu, denn auch in Island leben Menschen zur gleichen Zeit auf den unterschiedlichsten Planeten. WOLFGANG MÜLLER

Noch bis zum 31. 1. um 22 Uhr, Tilsiter Lichtspiele, Richard-Sorge-Str. 79, Friedrichshain