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der alte jack und sein deutscher tabak von RALF SOTSCHECK

Fast sein ganzes Leben lang ist der alte Jack mit seiner Frau Annie abends in die Dorfkneipe gegangen, und nie hat er Scherereien bekommen. Einmal, es ist schon ein paar Jahre her, kam die Polizei, weil der Wirt die Sperrstunde wieder mal ignoriert hatte. Normalerweise stürzen Gäste ihre Getränke dann so schnell wie möglich hinunter und machen sich aus dem Staub. An jenem Abend jedoch tranken alle seelenruhig weiter und ignorierten die Ordnungshüter. „Es war wie im Film ‚High Noon‘ “, erzählt Jack. „Die Polizisten starrten uns an, und wir starrten die Polizisten an. Vielleicht lag es am Vollmond.“ Nach einer Weile gaben die Beamten auf und verließen den Pub. Der Wirt gab eine Lokalrunde. Als die Gäste später nach Hause wollten, bekamen sie einen Schreck: Vor der Tür parkte das Polizeiauto. Die Leute waren in der Kneipe gefangen. Es gibt Schlimmeres. Der Wirt gab vorsichtshalber noch eine Lokalrunde, und man beobachtete die Polizisten durch das Fenster. Anderthalb Stunden später hatten sie die Nase voll und fuhren davon. Die Spättrinker sprachen schnell noch ein Gebet für diejenigen, die in dieselbe Richtung wie der Polizeiwagen mussten, dann stiegen sie in ihre Autos. „Niemand ist in dieser Nacht verhaftet worden“, sagt Jack.

Nun hat es ihn aber doch erwischt. „Schuld daran sind die Deutschen“, sagt er. Jack ist in der Grafschaft Roscommon in der Mitte Irlands geboren. Jetzt ist er 83 und lebt noch immer in seinem Geburtshaus, das er von den Eltern geerbt hat. Weil in Roscommon nichts los ist, will niemand dort hinziehen. So sind Baugrundstücke und Agrarland noch relativ günstig zu haben. „Vor sechs Jahren zogen die ersten Deutschen ins Dorf“, erzählt Jack. „Sie kauften ein altes Cottage mit ein bisschen Land, wo sie Gemüse anbauten.“ Hans, einer der Deutschen, ging mangels Alternativen abends auch immer in die Dorfkneipe.

Eines Abends kamen Jack und Annie mit ihm ins Gespräch. Jack wunderte sich, dass Hans so große Zigaretten rauchte, die merkwürdig rochen. Hans rollte eine Zigarette für Jack. Dem gefiel das, und von da ab bekam er jeden Abend eine.

Vor kurzem tauchte die Polizei wieder im Wirtshaus auf, weil die Zapfhähne trotz Sperrstunde noch sprudelten. Hans war kurz zuvor nach Hause gegangen und hatte Jack zum Abschied die gewohnte Zigarette dagelassen. Jack nuckelte genüsslich daran, als der Polizeibeamte zu ihm sagte: „Mensch, Jack, und das in deinem Alter. Ich verhafte dich wegen Gebrauchs illegaler Drogen.“ Jack glaubte zunächst, der Polizist spreche von seinem Glas Guinness, das nach der Sperrstunde ausgeschenkt worden war, doch der Uniformierte deutete auf die Zigarette: „Cannabis. Ist in Irland verboten. Strafverschärfend kommt hinzu, dass du das Zeug dreist in aller Öffentlichkeit rauchst.“ Hans baute wohl nicht nur Gemüse an.

Nun stand Jack vor Gericht. Er wurde freigesprochen, obwohl er zugab, seit Jahren jeden Abend einen Joint geraucht zu haben. Der Richter glaubte ihm, als Jack schwor, er habe das Zeug für eine Art deutschen Tabak gehalten.

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