Als Frankreichs Soldaten folterten

Ganz unterschiedlich und doch nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt gedenken in Paris Franzosendes Algerienkriegs. Die einen schämen sich und klagen an, die anderen schimpfen auf die „Lügen“ und sind stolz

PARIS taz ■ Auf dem Vorplatz der Kirche Saint Sulpice haben sich alte Männer versammelt, von denen viele die roten Käppchen der Fallschirmjäger tragen, andere die grünen der Fremdenlegion. Aus Anlass dieser Demonstration „zur Ehre der französischen Armee“ haben sie ihre militärischen Orden auf die linke Brusthälfte geheftet und schwenken Trikoloren mit eindeutigen Aufschriften. „Soldat, du hast deine Pflicht getan“ steht darauf. Und: „Schande den Kollaborateuren mit der FLN“, der algerischen Befreiungsfront.

Vom Podium aus lässt ein rechtsextremer Europaparlamentarier die mehreren hundert Demonstranten skandieren: „Kommunisten – Mörder“. Er bittet einen alten Mann mit hochdekorierter linker Brustseite zu Wort – einen „Harki“, wie die Algerier heißen, die im Dienst der französischen Kolonialarmee standen. Der Abgeordnete erklärt: „Er ist zum Katholizismus übergetreten.“ Die Demonstranten applaudieren. „Seine Familie ist von der FLN massakriert worden“. Sie buhen. Dann ergreift der Alte das Wort. In dem harten Französisch der algerischen Immigranten erinnert er an den „heldenhaften Einsatz der französischen Algerienarmee“ und wütet gegen die „infame Lügenkampagne“, die heute gegen sie geführt werde.

Das andere Frankreich hat sein Rendezvous wenige hundert Meter weiter im Kino „L’Arlequin“. Dort schauen mehrere hundert, ebenfalls meist ältere Personen einen nie zuvor auf einer französischen Großleinwand gezeigten Film über den einzigen General an, der sich im Algerienkrieg gegen den systematischen Einsatz der Folter stellte. General Pâris de Bollardière büßte mit mehreren Monaten Festungshaft für seine öffentliche Kritik. Seine folternden Kollegen – darunter die Generäle Massu und Bigeard – blieben in Dienst und Ehren. Ihre Namen stehen heute auf Straßenschildern.

De Bollardières Witwe sitzt an diesem Samstag mit auf dem Podium im Kino „L’Arlequin“. Neben ihr sitzen Kommunisten und Pazifisten, die auch den von der Zeitung L’Humanité Ende vergangenen Jahres veröffentlichten „Aufruf der Zwölf“ unterzeichnet haben. Sie verlangen darin, dass die französische Regierung und der Staatspräsident endlich die Folter im Algerienkrieg offiziell verurteilen. Die Antworten stehen noch aus.

Die alte Dame wettert bei der Diskussion im Kino immer noch auf die „Politiker in Paris“. Auf die sozialistische Regierung unter Guy Mollet und auf die Konservativen, die „alle wussten, was in Algerien geschah“. Dass Frankreich jetzt endlich, 39 Jahre nach Kriegsende, über die Folter diskutiere, und dass die alten Männer nun nicht mehr „ganz allein mit dem sind, was sie damals in Algerien gesehen und erlebt haben“, mache sie glücklich.

„Madame la Générale“, spricht ein alter Mann aus dem Publikum, „sie sind unsere Ehrenrettung. Machen Sie weiter. Lassen Sie nicht locker.“ Er leistete seinen Militärdienst im Algerienkrieg. Als „Para“ – Fallschirmjäger. Selbst gefoltert habe er nicht, sagt er, aber gesehen und gewusst und „Kameraden“ gehabt, die sich aufgehängt haben, „weil sie es nicht mehr ertrugen“. Dann presst er heraus: „Wir waren die Nazis der Algerier.“

Henri Pouillot war zwanzig, „naiv und ohne Lebenserfahrung wie alle“, als er in die Villa Susini in Algier versetzt wurde. Dort gab es nichts als den Krieg. „Nur gelegentlich ein Kneipenbesuch in dem europäischen Viertel von Algier und das Bordell.“ In dem Folterzentrum Villa Susini sah er „jeden Tag Menschen, die auf einen Tisch geschnallt wurden,“ bevor ihnen die Brustwarzen versengt, elektrische Schläge an den Geschlechtsteilen versetzt oder Polizeiknüppel in den After geschoben wurden. Er spricht hastig in das Mikrofon, verliert den roten Faden und den Atmen. Aber er lässt nicht locker. Bis zum Januar 2001 hat er nie über dieses Verbrechen im Namen Frankreichs gesprochen, „nicht einmal mit meiner Frau, mit meinen Geschwistern und meinen Kindern“.

Ein französischer Psychoanalytiker im Publikum, der in den Nachkriegsjahren in Algerien arbeitete, hat dort „keine einzige Familie getroffen, die kein Folteropfer, keinen Toten in der Familie hatte“. Er schätzt, dass „mindestens eine halbe Million junger Franzosen traumatisiert aus Algerien zurückkam“. Genau erfasst hat das in Frankreich, wo der Kolonialkrieg und die eigenen Greueltaten bis heute verdrängt werden, niemand.

DOROTHEA HAHN