Die Stille nach dem Wumms

Mit Lifestyle-Soldaten und schüchternen Bikini-Models im erweiterten Stimmraum: Jürgen Flimm inszeniert Giuseppe Verdis „Otello“ an der Staatsoper Unter den Linden

Die Entscheidung, den „Otello“ zum 100. Todestag des Komponisten neu zu inszenieren, wird der Staatsoper nicht schwer gefallen sein. Es ist sicher Verdis stimmigstes und insofern bestes Werk. Der Komponist verzichtet auf überbordenden Pomp und den Schmiss geschlossener Arien, um stattdessen behutsam, Note für Note an der Vorlage entlang zu komponieren. Die einstige Mischform des Arioso avanciert zum wichtigsten Vortragsmodus, während sich das Orchester auf lakonischen Kommentar verlegt.

Im Vorspiel zum vierten und letzten Akt etwa – die Ermordung Desdemonas steht unmittelbar bevor – wühlt nicht Klanggewalt in den Eingeweiden der Leidenschaft. Ein ausgedünnter, fast kammermusikalischer Satz glättet stattdessen einem milden Notturno die Wogen. Wenn sich der Vorhang dann zum Schlussakt öffnet, haben sich die Akteure längst ihrem Schicksal ergeben. Die Erdrosselung Desdemonas wird als bloße Zeremonie vollzogen, von Feuerkränzen feierlich ausgeleuchtet.

Dabei hatte alles mit einem solch heroischen Wumms begonnen. Im effektvoll mit Stroboskop untermalten Sturm des Eingangs „ächzt das Universum“; und vor diesem Lärm scheint Jagos Neid zerfressene Intrige zur Lappalie verdammt. Aber Jago, bekennender Nihilist und personifiziertes Böses zugleich, treibt sein Spiel mit geschäftsmännischem Sinn.

Dabei geht der Rolle, von Valeri Alexejev mit durchtriebener Schärfe vorgetragen, das dämonische Funkeln durchaus verloren. Doch diese Einbuße gehört auch schon zu den wenigen Zugeständnissen, die die Inszenierung der Partitur abverlangt.

Seine Tiefe verdankt der „Otello“ der Staatsoper indessen einem akustisch wie optisch geweiteten Raum. Die Akteure finden sich bisweilen bis an der hinteren Bühnenrand gedrängt. Ein süßlicher Schattenchor etwa begleitet Ottellos verzweifelt vorgetragene Anklage entrückt und von ferne. Und die Sänger streifen mit ihren gedämpften Stimmen mehr als einmal die Schwelle zum Sprechen, um sich vom Orchester bereitwillig und mit Gewinn übertönen zu lassen.

Insgesamt lehnt sich Regisseur Jürgen Flimm nicht allzu weit aus dem Fenster. Überhaupt verzichtet die Inszenierung auf rigorose, zur schulmeisterlichen Interpretation einladende Eingriffe – nur das italienisch besetzte Zypern erscheint zwischenzeitlich als mondänes Freizeitparadies mit Lifestyle-Soldaten und schüchtern posierenden Bikini-Models. An Eleganz und Chic mangelt es dieser Inszenierung auf jeden Fall nicht. Auch Desdemona trägt auf ihrer Haut die kühle Arroganz der Haute Couture.

Das billige Pathos der unschuldig Leidenden ist somit aufgehoben. Dass man aber ihre – von Jago hinterträchtig unterstellte – Liaison mit Cassio als nicht unwahrscheinlich darstellt, ist angesichts der offenbaren Gewalthierarchie des Stückes problematisch: Der Mord an Desdemona wird sich kaum durch den Tatbestand des Ehebruchs legitimieren lassen.

Ähnlich missverständlich wirkt der Griff, den „Mohren“ Otello zum zeremoniellen Mord von seiner Generalsuniform zu befreien, um ihn stattdessen in Kopftuch, buntem Gewand und Kriegsbemalung auftreten zu lassen. Was soll das heißen, wenn nicht: Der edle, nur scheinbar domestizierte Wilde kann seinen Ursprung nicht länger verschleiern; er wird zum brutalen Mörder – wie es ihm seine Natur befiehlt?

Man erwartet von der Staatsoper, als einem Monster des Renommees, immer ein wenig mehr als von anderen Häusern. Und es scheint fast selbstverständlich, dass die Hauptrollen überdurchschnittlich gut besetzt waren, der Chor den Hintergrund pointiert und geschliffen markierte und das Orchester unter Daniel Barenboim in wundervoll matt-warmen Farben badete. Es sei eben drum erwähnt.

BJÖRN GOTTSTEIN

Die nächsten Vorstellungen am 31. Januar, 3., 6. und 9. Februar, jeweils 19 Uhr, Staatoper Unter den Linden