unter hinrennern (5): zigarre rauchen mit otto schily
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von MICHAEL RINGEL

Manche Minister kommentieren derzeit unwirsch ihre radikale Vergangenheit, andere kokettieren damit am Banketttisch. Auf Kommando von Otto Schily winkt der Wilmersdorfer Zigarrenhändler Maximilian Herzog, der heute Abend zum Lions Club eingeladen hat, das kubanische Quartett heran und befiehlt lautlos: „CO-MAN-DAN-TE“. Höflich treten die vier Musiker an den Ministertisch und spielen zu leckerem Lammrücken unter der Oliven-Ciabatta-Kruste und rotem 1995er Château Haut-Beauséjour Cru Bourgeois (St. Estèphe Bordeaux) für Schily den Revolutionsschlager „Comandante Che Guevara“. Der Innenminister nickt beifällig, der Zigarrenhändler ist selig.

Im Palace Hotel an der Gedächtniskirche kriecht an diesem Abend der alte Westberliner Geldadel vor der Neuen Mitte zu Kreuze. Auf die Knie sinkt die Bourgeoisie vor einem Minister, der – um ein Wort von Günter Gaus aufzugreifen – zu Kaisers Zeiten längst als Baron geadelt worden wäre und Che Guevara zum Sorbet vom Gravensteiner Apfel standrechtlich hätte erschießen lassen.

Wie Pulverdampf liegt der Zigarrenrauch über den Tischen der Kämpfer für eine freie Marktwirtschaft, die sich im Smoking und Ballkleid wohltätig zum Sechsgängemenü versammelt haben. Und es fehlt nicht an wohltuender Fürsorge, wenn der feine Herr am Nachbartisch die verdutzte Hispano-Kellnerin auf seinen Schoß zu ziehen versucht: „Tu du mir mal Ketchup auf die Zigarre“.

Während der Schweizer Botschafter begrüßt wird, bedauert man das Fehlen seiner texanischen Gattin. Shawne Borer-Fielding ist Berlins größte Hinrennerin und Knieexpertin. Bei einer der letzten Abendveranstaltungen eilt sie auf den körperlich mittlerweile sichtlich gealterten Filmproduzenten Artur Brauner zu. Der klapprige Galan will sich artig aus seinem Sessel erheben, wird aber von Miss Texas rabiat in die Polster gedrückt, damit sie sich auf ihrem liebsten männlichen Körperteil niederlassen kann. Dem Besetzungsknie hat Frau Fielding es offenbar auch zu verdanken, dass sie zur Zeit neben dem Hollywood-Mimen Richard Gere in dem Gynäkologenfilm „Dr. T. and the Women“ auftreten darf.

Die Damen der Gesellschaft aber wurmt vernehmlich, dass ausgerechnet die „blonde Rösti-Braterin vom Ballermann“ (Ch. Y. Schmidt) bald als einzige Diplomatenfrau mitten im Regierungsviertel residieren soll. Nur die Schweizer Botschaft liegt zwischen Kanzleramt und Reichstag im so genannten Spreeknie. Womit sich das Knie bzw. der Kreis schließt. Oder zumindest beinah.

Auf die Knie nämlich gehe selbst ich jetzt, wenn auch nicht vor Otto Schily. Schließlich behaupteten schon meine Vorfahren beim Einzug der katholischen Spanier im Jahr 1586, dass sie „nie das Knie“ beugen würden, wofür sie prompt ihre Unterschenkel einbüßten. Weniger heroisch sinke ich lieber auf die Knie meiner Zunge – vor Vegas Robaina, der hier erstmals vorgestellten kubanischen Zigarre, die mich mit ihrem leichten Zug und der kraftvollen Würze wenigstens einen Hauch von edlem Charakter schmecken lässt.