SCHARPING HAT BEI DER BUNDESWEHRREFORM JEDE DISKUSSION VERMIEDEN
: Schmerzlindernde Medikamente

Viele Menschen werden heute von Ängsten geplagt, und kaum jemand verwendet all seine Kraft darauf, sie ihnen zu nehmen. Außer Rudolf Scharping. Der beruhigt – immerzu, unermüdlich und in alle Richtungen. Ein bisschen Uranstaub kann nicht schaden. Eine teure Bundeswehrreform lässt sich notfalls auch mit schrumpfendem Wehretat verwirklichen. Außerdem schrumpft der Etat eigentlich gar nicht. Und: Die Personalstärke der Armee wird zwar erheblich verringert, aber dennoch muss sich niemand vor Standortschließungen fürchten. Sie fallen nicht weiter ins Gewicht. Ohne Sorge, seid ohne Sorge.

Aber kein Verteidigungsminister kommt auf die Dauer damit durch, die Definition seiner politischen Prioritäten dadurch zu ersetzen, dass er freigebig schmerzlindernde Mittel verabreicht. Das Amt gilt nicht zufällig als Schleudersitz, und bestimmte Entscheidungen werden stets auf erhebliche Kritik stoßen. Zum Beispiel die Schließung von Standorten der Bundeswehr. Sie ist niemals populär, und es gibt keine magische Formel, die daran etwas zu ändern vermöchte.

Wenn die Bundeswehr von einem Ort wegzieht, dann gehen der heimischen Wirtschaft damit Aufträge und Arbeitsplätze verloren. Dennoch kann es nicht die vorrangige Aufgabe einer Armee sein, die Rolle eines Motors für strukturschwache Gebiete zu übernehmen. Das wäre eine teure Form der Wirtschaftsförderung. Die Bundeswehr muss vor allem die eigenen Anforderungen im Blick haben. Dazu gehört auch die Überlegung, wie sich qualifizierter Nachwuchs am besten anwerben lässt. Gut ausgebildete Leute gehen nun einmal lieber in attraktive Gegenden als in Orte, an denen sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Pech für die Provinz. Andererseits braucht Scharping viel Geld, und er will deshalb Liegenschaften der Streitkräfte verkaufen. Die in den Städten bringen mehr Geld als die auf dem platten Land. Glück für die Provinz.

Der Minister hat sich zunächst eine Kontroverse erspart, indem er über die konkreten Entscheidungskriterien für Standortschließungen lange geschwiegen hat. Selbst jetzt mag er noch darauf hoffen, dass sich der Widerstand gegen seine Absichten in regionale und parteipolitische Einzelinteressen aufsplittert und deshalb bundespolitisch nur geringe Wirkung entfaltet. Aber ein leises, flächendeckendes Grummeln ist langfristig viel gefährlicher als ein offenes, kurzlebiges Sperrfeuer. Scharping hat jede Grundsatzdiskussion vermieden – und deshalb auch seine politischen Gegner nicht gezwungen, ihrerseits Farbe zu bekennen. Das rächt sich nun. Die Informationspolitik des Ministers erweist sich nicht nur hinsichtlich der Uranmunition als fatal. BETTINA GAUS