Vor der Schlacht

■ Nicht nur für Schulklassen entwickelte das Schnürschuh-Theater das Stück „Der Weibling“ über den kleinen Friedrich den Großen

So etwas nennt man echte, unfreiwillige Arbeitsteilung unter Todfeinden: Friedrich Wilhelm I stampfte eine sündhaft teure Armee aus dem märkischen Boden, doch er verlieh sie lieber als sie selber zu gebrauchen; rabiat eingesetzt hat sie aber erst sein sein Sohn, den er hasste: Friedrich der Große, ein Fleisch gewordener Widerspruch.

Weil er, als er noch nicht der Große war, Buch und Flöte den Vorzug gab gegenüber Waffe und Wein, Pferd, Pfeife und Pirsch, beschimpft ihn der Vater als „effeminierten Kerl“. Später aber kehrte der vermeintliche Weichling aus keiner Schlacht heim, ohne nicht stolz auf diverse Löcher in der Uniform hinweisen zu können und auf ein paar Rosse, die ihm unterm Hintern hinweggemetzelt wurden. Dem Vater hät's gefallen.

1739, im Alter von 27 Jahren, verfasste Friedrich seinen „Antimachiavell“, mit Hilfe des großen Aufklärers und bewunderten Vorbilds Voltaire. Darin prangerte er jene Sorte von Machtmenschen an, die nur um des eigenen Ruhmes willen das Leben der Untertanen vergeuden. Bald sollte er sich selbst unter sie einreihen. Denn kaum übernahm er nur ein Jahr später das Zepter, läutete er den grausamen Österreichischen Erbfolgekrieg ein. Er überfiel Maria Theresias Schlesien, und die historisch-dynastischen Begründungen dafür waren mehr als lausig. Wie sehr er damit die Balance der europäischen Mächte durcheinandergewirbelte, sollte wenig später der 7-Jährige Krieg zeigen.

Friedrich faszinierte die Nachwelt, nicht zuletzt wegen dieses Auseinanderklaffens von Absichtsbekundung und Tat. Um es zu verstehen, muss man wohl einen Blick auf die Kindheit werfen.

So oder so ähnlich wird es sich wohl die Crew des Schnürschuh-Theaters gedacht haben, als sie ihren ehemaligen Schauspieler Uwe Seidel bat, ein Stück zu verfassen über den jugendlichen Friedrich. Ein Unterfangen, das verdienstvoll ist, damit der Jubel nicht zu ungetrübt wird in diesem Jubeljahr der Hohenstaufer anlässlich der Selbstausrufung von Kurfürst Friedrich III. zum „König in Preußen“ im Jahr 1701 in Königsberg.

Die Wirklichkeit ist oft der beste Autor, dachten sich einst Leute wie Heinar Kipphardt und Rolf Hochhuth, und sahen ihre Aufgabe nicht im Erfinden, sondern im Auffinden und Collagieren relevanter Schnipsel der Wirklichkeit. Auch Uwe Seidel verbrät jede Menge O-Ton, wie etwa den ekelhaften Ausspruch Friedrich Wilhelm I., er hätte sich an Friedrichs Stelle schon längst umgebracht, wäre er von seinem Vater so schlecht behandelt worden wie Friedrich. Auch viele der Anekdoten sind historisch verbürgt. Etwa Friedrichs Freude über die Blamage des für seine Sparsamkeit verspotteten Vaters am so viel prunkvolleren Dresdner Hof. Dort ist ihm beim Tanzen die Hose geplatzte, was ihn in Kalamitäten brachte, da der geizige Mann keine Ersatzhose dabei hatte. Was nicht in allen Geschichtsbüchern steht, sind die Mutmaßungen über Friedrichs Homosexualität. Doch es gibt Indizien genug. Nachdem Friedrich II. Voltaire vom Potsdamer Hof vertrieb, spottete der mit seiner ihm eigenen Rachsucht in einem Pamphlet über die heimlichen Neigungen seines einstigen Zöglings gegenüber jungen Offizieren.

Ein Hauch von Schulfunk stellt sich ein bei diesem Heruntererzählen von Geschichte. Aber es entsteht ein plausibles Bild einer Herrscherphysiognomie: Der sensible, doch zum Nachgeben zu selbstbewusste Jugendliche, der sich vom Vater verachtet sieht und als Erwachsener der Anerkennung auf dem Schlachtfeld hinterhergaloppiert, die er als Jugendlicher vermisste.

Das Stück beschränkt sich strikt auf die Zeit der Revolte, also bis 1730, als Friedrich die Flucht plante, zusammen mit seinen Freunden Hans Hermann von Katte und Peter Karl Christoph Keith. Katte bezahlte den Freundschaftsdienst mit dem Leben, Friedrich wurde nach Küstrin verbannt und durfte dort Einblicke nehmen in die Niederungen der Behördenarbeit. Nicht mehr gezeigt wird die Zeit ab 1733 als Garnisonsoffizier in Rheinsberg, wo auch Friedrich wie sein Vater Geschmack findet an Männergesellschaften und Soldatenspielen. In einer Art Nachspann aus dem Off aber, erfährt man, wie sehr sich der einstige Feingeist und Buchvertilger verwandelt in einen Teilnehmer im großen europäischen Ringen um Ruhm.

In der sorgfältigen, eher konservativen Regie von Reinhard Lippelt hält Kevin Gledhill seinen Friedrich in schöner Balance: teils liebenswert schwärmerisch, teils schrullig. Die Perücke hängt wunderbar schief und zerrupft übers unausgegorene, doch feurige Gesicht mit dem leisen Stan-Laurel-Charme. Michael Hans Hermann gibt den gichtgeplagten König konsequent andebilisiert: eine Gemeinheit, die nie platt wirkt. Je mehr er Ordnung und Disziplin einklagt, desto stärker entgleisen die Gesichtszüge. Auch beim häufigen Stockeinsatz zeigt er die polterne Unbeherrschtheit im Kampf um Beherrschtheit. Bei Claudia Böttcher als Schwester Wilhelmine wirken Grazie und Unschuld, zu der Frauen seinerzeit verpflichtet wurden, ein Stückchen künstlicher und geschmackloser als das sein müsste. Und Corinne Senkbeil spielt die Steifheit der frustrierten Königin so steif, dass sie nicht immer ganz ernst wirkt. Friedrichs Gegenwelt der antiken Helden, französischen Literatur und erotischen Männefreunden könnte man sich prägnanter und sinnlicher vorstellen. Nicht nur für das Zielpublikum Schüler ist das Stück aber allemal eine unterhaltsame, fesselnde Aufforderung, sich mal genauer mit den Mechanismen von Herrschaft in der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen. bk