Poesie mit Gott und Yeti

Komische meditative Bilder von Bernd Pfarr in der Caricatura Kassel

Überall lauern doppelte Böden, das Leben ist brüchig und voller Überraschungen – reine Poesie

Zarte Freude in rauen Mengen spendet Bernd Pfarr, und das schon so lange. Seine „Dulle“-Comics aus den 80ern sind längst vergriffen, Kowalski, die Zeitschrift, in denen sie erschienen, ist seit Ewigkeiten pleite. Sein „Sondermann“ ist einer der letzten zwingenden Gründe, allmonatlich die Titanic durchzuschauen. Das zahlenmäßig größte Publikum erreichte Pfarr im verblichenen Zeit magazin, wo er die Form des Kurzromans in Wort und Bild zur Meisterschaft brachte. „Wenn meine Frau ihre flache Hand auf meinen Bauch legte, um auf mein leichtes Übergewicht anzuspielen, verschaffte ich mir eine gewisse ausgleichende Befriedigung, indem ich mit dem Nagel meines Zeigefingers ganz sanft die feinen Furchen ihrer Orangenhaut nachzog“, ist ein Bild untertitelt, das ein Pärchen im Strandkorb in scheinbar inniglicher Umarmung zeigt. Doch bei Pfarr ist selten etwas das, was es zu sein scheint. Überall lauern doppelte Böden, das Leben ist brüchig und voller Überraschungen – reine Poesie eben.

Wie Funny van Dannen in seinen Liedern die Dinge des Lebens beseelt, hauchen Pfarrs Bilder dem Alltag ein traumhaftes Leben ein. Gefährlich ist ein Sofa mit Treibsandfüllung, der abscheuliche Schneemensch traut sich kaum mehr aus dem Haus, seit er in der Zeitung etwas über den Yeti las, und der im Dutzend für tot erklärte Gott ist bei Pfarr springlebendig: ein sympathischer älterer Herr, der Taxi fährt oder etwas kauzig am Weltuntergang bosselt. Sogar die schwierige Hürde der Werbewelt hat Pfarr elegant genommen. Als er vier Bilder zugunsten des Autoherstellers Renault malte, die als Anzeigen u. a. in Bild am Sonntag erschienen, erzeugte er auch damit nur ungetrübte Freude. Er verströmte Schönheit an einem hässlichen Ort, ohne von dessen Hässlichkeit berührt zu werden. So unabhängig und eigenartig ragen Pfarrs Bilder, dass nicht einmal die Mischung aus Werbung und Boulevard ihnen etwas anhaben kann. Das liegt wohl auch daran, dass Pfarr stets das Maximum an Liebe und Sorgfalt investiert. Leser der seltsam anmutenden Zeitschrift Reformhauskurier, für die Pfarr seine zauberhafte Serie „Alex der Rabe“ zeichnete, wurden nicht schlechter bedient als das Publikum des Zeit magazins, das er über Jahre wöchentlich verwöhnte – oder auch bis hin zur Abokündigung vergrätzte, denn die Sütterlinfraktion lehnt Schönes ab. Wer Marion Dönhoff und Theo Sommer für lesbar hält, muss an Bernd Pfarr scheitern. Bernd Pfarrs Bilder sind so schön, dass man in ihnen wohnen möchte. Leider ist das schlecht möglich. Auch der Plan, sich Bilder von Pfarr in die Wohnung zu hängen, auf dass man zwar nicht in, aber immerhin mit ihnen leben kann, geht nicht auf: Längst stehen die Sammler Schlange. Man kann sich mit Plakaten behelfen, mit Postkarten und mit Büchern. Die Kästner-Gesamtausgabe bei Hanser muss man vielleicht nicht noch einmal lesen – aber die acht Umschläge von Bernd Pfarr neben dem Bett zu wissen, verleiht ein Gefühl großer Sicherheit. Doch so richtig genießen lässt sich der große Aufwand, den Pfarr treibt, wenn man die Bilder im Originalformat und in den Originalfarben betrachtet – was als Druck schon das Herz wärmte, entfaltet hier seine wahre Pracht. Diese Farben! Diese Grüns, diese Rosas, diese Blaus! Das ist die Krux aller Druckkunst – erst die Originale sind zum Umsinken. Und deshalb habe ich eine Bitte an die ansonsten tadellos liebevollen Ausstellungsmacher der Caricatura Kassel, wo derzeit die Pfarr-Ausstellung „Kleine Nachtmusik“ (noch bis zum 25. 3.) zu sehen ist: Bitte bequeme Bänke hinstellen oder Sofas, damit man sich in Pfarrs meditative Bilder auch versenken kann, stundenlang und innig. WIGLAF DROSTE