Bayerns wilde Hatz

Auf sehr altmodische Weise siegt Bayern München 3:1 beim VfL Wolfsburg und ist plötzlich wieder Spitze

WOLFSBURG taz ■ In der englischen Premier League – das hat sich mittlerweile herumgesprochen – ist in den letzten Jahren durch Trainer wie Ruud Gullit, Gianluca Vialli, Arsène Wenger sowie zahlreiche hoch begabte Spieler aus südlicheren Gefilden so etwas wie gehobene Spielkultur eingekehrt. In der Bundesliga verläuft der Prozess genau umgekehrt, zumindest wenn man den amtierenden deutschen Meister zum Maßstab nimmt. Bayern München spielt inzwischen ein lupenreineres Kick and Rush als der FC Arsenal in den 70er-Jahren. Kaum haben Torwart Kahn oder die Abwehrspieler den Ball erbeutet, heißt die Devise: Schnell zu Effenberg, das Ding. Der dreht sich dann majestätisch um die eigene Achse und vollzieht jene spielgestalterische Aktion der altmodischen Art, die er sich nahtlos von Lothar Matthäus abgeguckt hat: Er haut den Ball 40 Meter nach vorn, und ab geht die wilde Hatz.

„Bayern hat doch bloß mit langen Bällen operiert“, rümpfte Wolfgang Wolf, Trainer des VfL Wolfsburg, die Nase, doch zumindest in der Bundesliga scheint das vollauf zu genügen. Den VfL Wolfsburg, wahrhaftig kein schlechtes Team, wiesen die Münchner in dessen Stadion locker mit 3:1 in die Schranken, und nach Schalkes Absturz in Cottbus sind sie wieder Tabellenführer. Bolzen und rennen ist des Bayern Lust, vor allem, wenn ein Alexander Zickler mitspielt, der in Wahrheit Leichathlet ist, und an seiner Seite ein treffsicherer Brasilianer. „Er hat gegen einen Giovane Elber in Hochform gespielt“, nahm Wolf seinen nigerianischen Neuzugang Emeka Ifejiagwa in Schutz, der gegen den Bayern-Stürmer auf völlig verlorenem Posten stand. „Elber hat all seine Geschicklichkeit und Schlitzohrigkeit eingesetzt“, bescheinigte der VfL-Coach dem zweifachen Torschützen, und solange die Schiedsrichter nicht mitbekommen, dass Elber vor jeder Ballannahme erst mal seinen Gegenspieler foult, ist ihm kaum beizukommen.

Schönen Kombinationsfußball spielten die meiste Zeit die Wolfsburger, vor allem über ihre rechte Seite mit dem ungemein starken Zoltan Sebescen setzten sie die zuletzt in Grund und Boden verdammte Bayern-Abwehr kräftig unter Druck. Die hatte mit Jens Jeremies einen neuen Libero, weil ja Ciriaco Sforza auf die Strafbank gemobbt worden war, was sämtliche in Wolfsburg anwesenden Bayern-Vertreter, inklusive der Verfemte selbst, ebenso heftig wie unglaubwürdig bestritten.

Am Ende war Trainer Ottmar Hitzfeld mit seinem Abwehrverbund recht zufrieden, zum einen weil „die ganze Mannschaft in der Rückwärtsbewegung gut gearbeitet hat“, zum anderen weil die Vorwärtsverteidigung via Effenberg so erfolgreich war. „Man kann nur hinten sicher stehen, wenn man auch Gefährlichkeit nach vorn ausstrahlt“, dozierte Hitzfeld. Tatsächlich schossen die Bayern jedes Mal, wenn die Wolfsburger nahe daran schienen, dem Match eine Wende zu geben, einfach ein Tor – in der 13. (Elber), der 45. (Scholl) und 59. Minute (Elber). „Wir haben drei Fehler gemacht, die sind alle bestraft worden“, ärgerte sich Wolfgang Wolf über die Effizienz des Gegners, fügte sich aber dann in sein Schicksal. „Die sind eben in vielen Situationen eine Klasse besser als wir“, räumte er ein und wollte die erst zweite Heimniederlage binnen eines Jahres nicht weiter tragisch nehmen. „Wir haben gegen Bayern München gespielt. Wenn man gegen die nicht verlieren darf, dann weiß ich auch nicht.“

Das klingt nach Kapitulation und könnte durchaus für die ganze Liga gelten. Im selben Maße, wie die anderen zu Meisterschaftsaspiranten hochgejubelten Teams anfangen zu schwächeln, scheinen die Münchner an Stärke und Souveränität zuzulegen. „Jetzt werden wir wieder gejagt, das tut uns gut“, sagte Mittelfeldspieler Thorsten Fink, und die Art, wie die Bayern einen unbequemen Widersacher wie den VfL Wolfsburg zähmten und am Ende an die Kette legten, zeigte, dass auch kleinere Wasserglasstürme wie der um Sforza die Mannschaft kaum erschüttern können. Schließlich war es am Ende der mutmaßlich Gemobbte selbst, der kundtat: „Wir sitzen alle in einem Topf.“ Na dann, Deckel drauf und ab zur Meisterschaft. MATTI LIESKE