Das System Mainz funktioniert

aus Mainz KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Kurt Beck sucht meist den Ausgleich, Konfrontation ist seine Sache nicht. Zwangsläufig. Denn der Ministerpräsident und seine Sozialdemokraten im Landtag zu Mainz koalieren mit den Liberalen. Damit ist Rheinland-Pfalz ein Unikat in der politischen Landschaft der Republik. Und oft ein Ärgernis für die rot-grüne Bundesregierung und den Kanzler, vor allem dann, wenn sich die Position der FDP bei anstehenden Entscheidungen im Bundesrat als nicht kompatibel mit den Wunschvorstellungen der SPD in Berlin und Mainz erweist. Dann steckt Beck, wie zuletzt bei der Abstimmung über ein Verbot der rechtsextremen NPD im Bundesrat und bei der Debatte um die Entfernungspauschale, zwischen Baum und Borke: Einerseits soll es der 51-Jährige dem Bundeskanzler im Bundesrat richten, andererseits aber den Koalitionspartner in Mainz nicht vergrätzen.

Es wird Harmonie demonstriert

Von den von Insidern kolportierten harten Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition zwischen Kurt Beck, der seit Oktober 1994 in Mainz regiert, und seinem Stellvertreter, dem amtierenden Wirtschaftsminister Hans-Arthur Bauckhage (FDP), erfahren die Rheinland-Pfälzer allerdings nur wenig. Es wird Harmonie demonstriert, gerade jetzt vor den Landtagswahlen am 25. März.

Denn im doch eher konservativ geprägten Rheinland-Pfalz belohnten die Wähler „stets Kontinuität und reibungslose Regierungsarbeit“, wie die Mainzer Allgemeine Zeitung den Koalitionären erst vor wenigen Tagen ins Stammbuch schrieb. Im Konfliktfall zwischen den Regierungspartnern in Mainz enthält sich Rheinland-Pfalz der Stimme im Bundesrat. In einem nicht beizulegenden Streitfall würde eine einmalige Bestimmung aus dem Koalitionsvertrag zum Zuge kommen: Da wird das Abstimmungsverhalten des Landes im Bundesrat ausgewürfelt.

Das System Mainz scheint, zumindest aus Sicht der Koalitionäre, funktioniert zu haben. Die Partner sind fest entschlossen, die Zusammenarbeit auch in einer dritten Legislaturperiode bis 2006 fortzusetzen. Garant dafür ist Kurt Beck, dem nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts polis 61 Prozent der Wähler ihre Stimme geben würden, wenn der Ministerpräsident direkt gewählt werden könnte. Seinen konturlosen Konkurrenten Christoph Böhr von den Christdemokraten wollen dagegen nur 16 Prozent auf dem Ministerpräsidentensessel sehen.

Keine Feier ohne Beck

Das ist schon ein komfortabler Vorsprung für den Amtsinhaber. Doch die Wahl, so Beck warnend an die Adresse der Stammwähler seiner Partei, sei „noch lange nicht gewonnen“. Würde die Landtagswahl schon am nächsten Sonntag stattfinden, kämen die Sozialdemokraten auf 42 Prozent der Stimmen und die Freidemokraten auf 7. Für die CDU würden sich 39 Prozent der Wähler entscheiden. Und die Grünen? Die balancieren nach Angaben der Demoskopen in Rheinland-Pfalz an der Fünfprozentmarke.

49 Prozentpunkte also für die Regierungskoalition in Mainz. Das würde für eine Fortsetzung der Arbeit reichen. Aber Regierungschef Kurt Beck fürchtet den „Hessen-Effekt“ von 1999. Da führte der damalige Amtsinhaber und heutige Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) allen Umfragen zufolge ebenfalls mit großem Vorsprung – und stand am Ende doch noch mit leeren Händen da. Beck: „Wir müssen deshalb noch kämpfen, überall im Land.“

Und da steht der hemdsärmelige Ministerpräsident stets an vorderster Front. Wo Volk ist, ist Beck. Ob auf dem Betzenberg beim 1. FC Kaiserslautern („nicht nur wenn die Bayern kommen!“ – Beck) oder am Nürburgring. Ob auf den Weinfesten in der Pfalz und in Rheinhessen oder beim „Kerwefrühschoppen“ daheim in Steinfeld. Keine Feier ohne Beck.

Grüne bieten sich als Partner an

Der „gude Palzwoi“, die Bratwürste und die Saumägen mit Kraut, die „Läwwerworschtbrote – das alles formt(e) nicht nur die Figur des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten. Weil er die Nähe zu den einfachen Menschen suche, so Beck, wisse er im Gegensatz zu vielen anderen Politikern immer ganz genau, „was die kleinen Leute so denken, wo sie der Schuh drückt“. Das beeinflusse sein politisches Handeln „ganz erheblich“.

Und die „kleinen Leute“ sind tatsächlich beeindruckt, wie die schon erwähnten 61 Prozent Zustimmung der Umfrage zeigen. Denn der „MP“, wie Kurt Beck in der Staatskanzlei knapp genannt wird, ist kein (politischer) Schauspieler. Der Politiker, der nach der Volksschule Elektriker lernte und dann über den zweiten Bildungsweg den Realschulabschluss nachholte, gibt überall nur Beck – im Original.

Wenn er zu Hause sei, betont Beck gerne, könnten die Nachbarn an jedem zweiten Sonntag bei ihm vorbeikommen – „so wie früher, als ich noch Bürgermeister war“. Auch so wie früher „und nur aus Spaß am erlernten Beruf“ frisiere sein Frau zweimal in der Woche noch immer die Haare ihrer Freundinnen aus dem Ort. Beck und der SPD wird laut einer polis-Umfrage inzwischen auf allen Politikfeldern mehr Kompetenz bescheinigt als der CDU.

Kurt Beck sei „gnadenlos populistisch“, sagen dagegen seine Kritiker aus den Reihen der CDU. Und wie einst die barocken Kurfürsten von Mainz reise der Sozialdemokrat mittlerweile „triefend vor Selbstbewusstsein“ durch das Land. So habe Beck zwischen Weihnachten und Silvester auf einer publikumswirksamen Veranstaltung der Landfrauen seelenruhig weiter Gewürzgurken verkostet, obwohl in Trier gerade zwei Schwerverbrecher aus dem Gefängnis ausgebrochen waren, echauffierte sich CDU-Spitzenkandidat Christoph Böhr.

„Neider“ seien die Kritikaster von der Union allesamt, heißt es im Umfeld von Beck dazu. Die Christdemokraten in Rheinland-Pfalz würden doch ohnehin jeden Tag darum beten, „dass Böhr nicht noch vor der Wahl im Doerfert-Sumpf versinkt“. Hans-Joachim Doerfert (CDU), die Skandalnudel der Caritas Trägergesellschaft Trier (ctt), gegen den diverse Verfahren wegen „Untreue“ anhängig sind, war einst der Kassenwart der Union in Trier – und Böhr dort Parteichef. Spenden aus dem Geldsack von Doerfert flossen damals reichlich: auch an die CDU in Stadt und Land.

Die Grünen werfen Beck vor, sich von der FDP erpressen zu lassen, und bieten sich selbst als Partner an. In Rheinland-Pfalz werde die Politik der SPD-geführten Bundesregierung permanent sabotiert, schimpft Spitzenkandidatin Ise Thomas, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Mainzer Landtag. Die „Männerfreunde Beck und Brüderle“ – Rainer Brüderle (FDP) war bis zu seinem Wechsel in die Bundespolitik Wirtschaftsminister des Landes – hätten vor allem die dringend notwendige ökologische Weiterentwicklung in Rheinland-Pfalz verhindert: „im Personennahverkehr und auf dem Energiesektor“.

Arbeitsplätze wichtiger als Ökologie

Tatsächlich ist etwa die Umweltministerin des Landes, Klaudia Martini (SPD), die mit einem Job beim Chemiegiganten BASF liebäugeln soll, eine Gegnerin des Dosenpfandes, wie es im Bundeskabinett Umweltminister Jürgen Trittin und Bundeswirtschaftsminister Werner Müller planen. Und der Autobahn- und Straßenbau hat in Rheinland-Pfalz noch immer Priorität.

Volkstribun Beck kratzt das alles nicht: „Das ist mir so egal wie Worschtsupp, wie wir Pfälzer sagen.“ Den Menschen in Rheinland-Pfalz gehe es um ihre Jobs, vor allem nach dem Abzug der US-Amerikaner aus vielen Standorten in der Pfalz und im Hunsrück. Und auch die Bundeswehr wolle weitere Kasernen schließen. Immerhin: Aus der Tiefe der Arbeitsmarktstatistik habe die Regierung das Land schon herausgeführt, es befinde sich heute auf Platz drei. Arbeitsplätze schaffen, das sei „die vorrangige Aufgabe der Koalition gewesen“, sagt Kurt Beck. „Und das wird sie auch in Zukunft bleiben.“