Gefühle in Gefahr und größter Not

Die Intelligenz der Gefühle: Alexander Kluge im Philosophischen Café  ■ Von Anette Kretzer

Gefühle, das sind jene Lückenbüßer, die als Motivations- und Hoffnungshintergrund herhalten, wenn sich das Besondere aus dem Allgemeinen zurückmeldet. Sie entfalten ihre eigensinnigen Fähigkeiten in den Krisen der Moderne. Keine politische Theorie und Praxis bekam sie je zu fassen, ohne sie zu leugnen oder auszubeuten, keine Produktionsöffentlichkeit weiß von ihnen zu erzählen, ohne ihren „Eigensinn“ zu unterdrücken. Die „Macht der Gefühle“ als Raum für Wünsche und Bedürfnisse findet erst in unwirtlichen Zeiten ihr Auskommen. Meistens wird dabei gelitten. Oft kommt Schlimmes dabei 'raus.

Alexander Kluge ist heute zum Philosophischen Café ins Literaturhaus Hamburg geladen, um dem „Partisanenkampf“ der Gefühle nachzufühlen. Kluge hat im Laufe seiner Teilnahme am Öffentlichen als Schriftsteller und Filmemacher gearbeitet, derzeit ist er Chef eines Jointventures für TV-Programmentwicklung (DCTP) und produziert Kulturmagazine.

In seinen Schriften hat er die gegenseitige Einflussnahme von Geschichte und „Gefühl“ beobachtet und die Bewegungen zwischen dem Einzelnen und dem großen Entwurf, der Zeit, dem System, dem Körper, der Maschine mit ungebremster Assoziationswut aufgezeigt. Das zieht opulente Werke nach sich, wie etwa Geschichte und Eigensinn (1981) mit weit über tausend Seiten oder die über zweitausend Seiten starke, nach langer literarischer Abstinenz im Jahr 2000 verfasste Chronik der Gefühle. Zentrales Medium ist – neben einer unendlich scheinenden philosophischen Bildung – eine Montagetechnik, in der Inhalt und Form exzessiv der „Gewalt des Zusammenhangs“ überantwortet werden. Es ist wie im richtigen Leben: Verweigert wird die Präsentation des Zusammenhangs, wenngleich alles eine „Frage des Zusammenhangs“ ist.

Der berufliche Übertritt des 1932 geborenen ausgebildeten Anwalts Kluge in die Ausdruckswelt des damaligen AutorInnenkinos 1966 scheint kein Bruch mit seiner literarischen Arbeit gewesen zu sein. Kluge hat seine schriftstellerisch entwickelte lakonische Dialektik in die Stilmittel des Films übersetzt. Menschen laufen durch einen Bilderwahn von Alltag, Kriegen, Märchen, Müllverbrennung oder SPD-Parteitagen. Oft sind es Frauen, die nach dem Sinn fragen oder ihn durch ihre Handlungen allegorisieren. Kluges Methode ist auch eine Imaginationstechnik, die kulturell und ökonomisch organisierte Herrschaftsverhältnisse unkommentiert nachspielt. Die Subjektivität der Figuren vermittelt gerade nicht Gefühle von Freiheit, sondern Grenzerfahrungen inmitten eines freiheitsberaubenden Sinnzusammenhangs.

Geschichte liegt nicht einfach so rum, das wissen wir spätestens, seit die Geschichtslehrerin Gabi Teichert (Hannelore Hoger) in Die Pat-riotin (1979) den Spaten in die Hand nahm oder versuchte, Marx anders als lesend zu konsumieren. Die unmittelbare Reihung der Versatzstücke aus Wissenschaft, Historie, Lebenswelt und Kultur unterläuft die Sicherheitszonen einer hierarchischen Ordnung der Bilder und Textsorten. Kluges Zitierwilligkeit ist ebeso ausgeprägt wie der Unwille, die Zitate und Versatzstü-cke nach Zeit, Ort oder AutorIn auszuweisen. Ein Spannungsfeld wird so erzeugt, aus dem heraus sich nicht ein Sinn, sondern der „Hunger nach Sinn“ zu erkennen gibt.

In früheren Zeiten kaprizierte sich Kluges Aufmerksamkeit mehr auf den Sinnhunger des deutschen TäterInnenkollektivs. Der Generationenbruch der 68er wurde auf Schmerz und Frieren geprüft und dem deutschen Herbst die „Bewaffnung der Gefühle“ empfohlen.

Heute dominiert die Sicht auf das Jahr 1989. Kluge versucht, die Gefühlsdialektik des identitätsbildenen Begriffs der „Nation“ zu ergründen und macht vor positiven Gefühlen zur Nation nicht Halt. Etwaige Walser-Nähe vermeidet der deskriptive, analytische Gestus von Kluges Arbeiten: Normativität sei nicht dem Überbringer schlechter Nachrichten unterstellt.

Gefühle sind als verheimlichte Intarsien ins leidenmachende Geschehen der bürgerlichen Produk-tionsverhältnisse eingearbeitet. Um sie im endlos verweisenden Zusammenhang zum Entfremdungsmuster sichtbar zu machen, untersucht Kluge derzeit vornehmlich die Gefühlsversinnbildli-chung in der westlichen Oper. In seinen Interviews in den TV-Magazinen, die sich über geschickte Lizenzierung ein Fenster im Privatfernsehen offenhalten, jagt Kluge seine InterviewpartnerInnen durch einen assoziativen Wirbelwind, der von jenen zumeist mit Nicken honoriert wird. Der weit ausholende Griff ins Entlegene ist offensichtlich auch in der persönlichen Interaktion fesselnd und überzeugend.

Der Gang zum Literaturhaus empfiehlt sich schon allein, um der klammheimlichen Freude nachzugeben, einen zu treffen, der sich zur Militanz – der Gefühle – bekennt.

heute, 19 Uhr, Literaturhaus