Später blauer Fleck

■ Wachtmeisterin zeigt mit Verzögerung an

Wegen „jedem kleinen Pups“, sagt Birgit H., „renne ich nicht zum Arzt“. Auch nach der tumultartig verlaufenen Gerichtsverhandlung beim damaligen Strafrichter Ronald Schill im Mai 1999 hatte die Wachtmeisterin sich weder zum Arzt begeben noch krankschreiben lassen. Drei Wochen später jedoch gab sie gegenüber ihrem Dienstvorgesetzten zu Protokoll, dass ein Prozesszuschauer ihr mit Fußtritten Verletzungen zugefügt haben sollte. Der stand dafür gestern vor dem Amtsgericht. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung lautet die Anklage.

In den drei Wochen war viel passiert. Jener Zuschauer, Matthias R., war zusammen mit einem anderen von Schill in Ordnungshaft gesteckt worden. Darüber hatten die Medien ausführlich berichtet. Sie hatten auch darüber berichtet, dass der Rechtsanwalt der beiden Verhafteten Strafanzeige gegen Schill wegen Freiheitsberaubung erstattet hatte, weil der die Beschwerde der beiden verschleppt und sie dadurch fast drei Tage im Gefängnis sitzen ließ. Und als sie davon erfuhr, sagt die damalige Saaldienerin Birgit H. vor Gericht, habe sie sich geärgert. Schliesslich hatte es im Gerichtssaal tatsächlich Tumulte gegeben, ihre Oberschenkel hätten dabei Tritte abbekommen, „es tat eine Woche lang höllisch weh“, und die von Schill verhängte Ordnungshaft fand sie „in Ordnung“. Deshalb ging sie nach Lektüre der Zeitungen zu ihrem Vorgesetzten. Der schrieb dem Amtsgerichtspräsidenten die Erlebnisse der Wachtmeisterin im Dienst, und der erstattete daraufhin Strafanzeige gegen Matthias R.

Der Richter jedenfalls hält das Ganze für „eine Bagatellsache“. Er hatte vor der Verhandlung bereits Einstellung des Verfahrens vorgeschlagen, was aber nicht die Zustimmug der Staatsanwaltschaft fand. Der Prozess wird Donnerstag kommender Woche fortgesetzt. Wegen der Ordnungshaft für den jetzt Angeklagten wurde Richter Schill inzwischen vom Landgericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 12.000 Mark verurteilt.

Elke Spanner