Manchmal ein großes Verlangen

Ein langes Low-Noise-Wochenende mit A Silver Mt. Zion und Tristeza  ■ Von Gregor Kessler

Wenn die Apokalypse in den wärmsten Tönen klingt und das Leise unerträglich schön wird, dann ist Constellation nicht fern. Das kanadische Label, das uns mit Godspeed You Black Emperor! (GYBE!) – laut Süddeutscher Zeitung – den Rock zurückgegeben hat, ist auch die Heimat des Line ups, das am Sonntag in Hamburg Station macht.

Da ist mit A Silver Mount Zion (ASMZ) zunächst das, was bequeme Menschen noch immer den kleinen GYBE!-Bruder nennen. Dabei hat sich das Kind von deren Gitarrist Efrim gerade auf einer ausgedehnten Europatour den eigenen Lebensraum erspielt. Man muss also kein kleiner Bruder gewesen sein, um zu bemerken, wie undifferenziert und schmerzlich derartige Pauschalisierungen sind. Und doch gibt es ja Parallelen. Die fangen bei der Vorliebe für das Epische an (He Has Left Us Alone But Shafts Of Light Sometimes Grace The Corner Of Our Rooms heißt das ASMZ-Debut und auch die Musik fasst sich nicht kürzer) und hören bei kammermusikalischen Anleihen erst annähernd auf. Beide Gruppen verzichten nahezu vollständig auf Gesang, opfern die Ordnung des Songs der Kraft der Stimmung, die wiederum eine zelebrierte Schwermut verströmt. Für diese sorgen der Kontrabass und die elegische Violine zweier anderer Godspeed-Mitglieder. In Zeitlupe breitet sich diese morbide Stimmung aus und legt sich über die Musik wie ein klammer Schleier.

Hier fangen dann auch die Unterschiede an. Denn wo GYBE! sich und das Publikum in ebenso anschmiegsamen wie vorhersagbaren Dynamikwellen aus Intro und Eruption wiegen, verzichten ASMZ vollständig auf den Ausbruch. Kein kathartischer Klimax löst die unterschwellige Spannung; die große Geste, sie ist nicht das Thema dieser Band. Das große Gefühl liegt ihnen näher.

An Gefühlen mangelt es auch Frankie Sparo im Vorprogramm nicht. Sein Demotape erregte mit Songs, die sich nicht entscheiden können, ob sie nun in Reverb-Gitarren oder Melancholie ertrinken sollen, die Aufmerksamkeit des Constellation-Labels. Das daraus entstandene Debut ist ein Singer/Songwriter-Album der etwas anderen Art geworden. Würde so Smogs Bill Callahan klingen, sperrte man ihn mit einer Effektkiste und einem 4-Spur-Gerät ein und fütterte ihn mit Barbituraten?

Am darauffolgenden Montagabend lautet die Lektion: Wer nicht stirbt, bevor er alt wird, lernt womöglich noch, sein Instrument zu spielen. Die drei Kalifornier hinter Tristeza dürfen in ihrer Heimat zwar gerade mal seit kurzem Alkohol trinken, das hält sie jedoch nicht davon ab, über ihre ,Rock'-Vergangenheit mit der Weisheit des Alters zu richten: „Viel hat wohl damit zu tun, dass wir so lange Hardcore gespielt haben“, sagt Tristeza-Gitarrist Christopher Sprague, wenn man ihn auf die federleichten Melodien seiner Band anspricht, die mehr mit Sea & Cake als mit Squirrel Bait zu tun haben. „Die musikalischen Interessen weiten sich aus, wenn man älter wird. Vielleicht klingt es seltsam, wenn wir sagen, wir haben gelernt, unsere Instrumente zu spielen, aber das ist wohl einer ganzen Menge Hardcore-Kids passiert.“ Und so sprinten Sprague, Jimmy Lavalle und Jimmy Lehner heute nicht mehr von einem Hochgeschwindigkeitsstück zum nächsten, sondern sie lassen ihrer Musik Zeit. Zeit und Raum. Sogar jenen Raum, den sonst ein Sänger für sich veranschlagen würde: Tristeza sind ein Instrumental-Trio.

Das ist, seit Postrock über uns gekommen ist, zunächst nichts Besonderes. Wird es aber, wenn man hört, wie die Band der Thrill Jo-ckey-Ästhetik, die abgehangene Smartness schon öfter mit antiseptischer Langweile verwechselt hat, ein sehr entspanntes Leben einhaucht. Das macht das Trio mittels zweier verwobener Gitarren, die sich tänzelnd ineinander zwirbeln, um im nächsten Moment wieder auf einer flächigen Orgel davon zu schweben: Luftkissenpop, der von einem funkig-groovenden Bass auf Kurs gehalten und einem dezenten aber bestimmten Schlagzeug geerdet wird.

Hier zahlt sich aus, dass die jungen Herren in den letzten Jahren tatsächlich weit über den Hardcore-Teller hinaus schauten: Dub, Trip Hop, 4AD, Indie – Zitate tauchen wie Postkarten alter Freunde auf und fügen sich zu einem filigranen Ganzen, das bei Zeiten an ein Tied & Tickled Trio erinnert, das den Jazz gegen die Red House Painters getauscht hat. Auf Dreams Signals in Full Circles, dem ersten weithin erhältlichen Album der Tristezas, sorgte Produzent Dave Trumfio (u.a. Palace) für einen wärmenden, vollen Sound, der die emotionale Bedeutung des Bandnamens als schelmische Ambivalenz entlarvt. Nicht Tristesse, sondern schwelgerische Zufriedenheit herrscht vor.

Dagegen klingen Hamburgs Operation Grizzly, die für die Kalifornier die Bühne wärmen werden, schon fast wieder überschwänglich. Denn hier ist es dann wieder, jenes große Verlangen, das uns Neil Young und seine Gitarre lehrte und das auch heute noch Legionen von Bands um- und antreibt. Wenn Operation Grizzly die Gitarren in ihren ansonsten gerne mal wimpigen Songs krachen lassen, der Sänger die Worte zu dehnen beginnt und Sehnsucht in Wut umschlägt, dann kann man auch ruhig mal die Faust in der Tasche ballen.

A Silver Mt. Zionund Frankie Sparo: Sonntag, Tristeza und Operation Grizzly: Montag, jeweils 21 Uhr, Knust.