Zukunft als Loch im Boden

■ Theater Basel gastiert mit Stefan Puchers Inszenierung von Anton Tschechows „Kirschgarten“ am Schauspielhaus

„Ein Bauer bleibt ein Bauer“, klagt Lopachin (Sebastian Blomberg) zu Beginn. Er weiß, wovon er spricht, denn er steht auf dem Land, auf dem sein Vater einst Leibeigener der Herrschaften war, doch nun ist es sein eigener Grund und Boden. Wir sind bei Tschechow, stehen mitten im Kirschgarten. Russland ist im Umbruch. Der Landadel zeigt sich nach der Bauernbefreiung von der Modernisierung überfordert und ist total überschuldet. Ein Garten mit besagten Bäumen ist zwar nicht zu sehen, doch wir fühlen ihn trotzdem. „Pop“-Regisseur Stefan Pucher gelingt beim Gastspiel seines Kirschgartens vom Theater Basel im Schauspielhaus eine dichte Klassikerbearbeitung, die sich überkommener Darstellungsformen gekonnt entledigt.

Pucher verwendet ähnliche Mittel wie bei seiner Hamburger Möwe: eine leere Guckkastenbühne als Landgut, von oben in verschiedenen Farben illuminiert. Statt Kirschgartenpanorama eine Videoprojektion mit Straßenbahnleitungen und eine Reihe im farbenfrohen Trash der siebziger Jahre gekleideter Darsteller. Dazu mischt Pucher einen Gitarre spielenden Diener (Davis Freeman), der der Gesellschaft den Spiegel vorhält.

Bei Pucher wird der Kirschgarten zu einem wundervoll bitteren Abgesang auf eine dem Tod geweihte Zeit. Die Besitzerin, die vormals ehrwürdige Ranjewskaja (drahtig: Silvia Fenz), hat ihr Gut heruntergewirtschaftet und einen armen Anwalt geehelicht. Zuletzt flüchtete sie nach Paris und warf sich einem Taugenichts an den Hals. Nach einem gescheiterten Leben kehrt sie zurück auf ihr inzwischen hoch beliehenes Gut. Auch die übrigen Gutsbewohner kommen übers Philosophieren und Wodka Trinken nicht hinaus: Ranjewskajas Bruder Gajew (eine echte Witzfigur: Albi Klieber) hängt den alten Zeiten nach, Tochter Anja (anmutig: Fabienne Hadorn) wähnt sich dem Hauslehrer Trofimow (Christoph Müller) in Liebe verbunden. Pflegetochter Warja (Bettina Stucky) wiederum wartet seit zwei Jahren vergeblich auf den Heiratsantrag von Lopachin, jenem Kaufmann, der das Gut vor dem Ruin bewahren, Haus und Garten abholzen und den Bewohnern ihre Heimat nehmen wird.

Pucher erzählt dies mit groben Einschnitten in das Textmaterial. Doch er rüttelt nicht am Gerüst, ergänzt aber um aktuelle Bezüge. Indem Pucher Alltäglichkeiten vorführt, verleiht er dem Ganzen eine sanfte Melancholie. Die Zukunft der Gutsbewohner liegt in einem Loch im Boden. Und der Kirschgarten? Pucher findet wunderbare Bilder für ihn: „Er ist die Aufklärung über die Lüge des Weihnachtsmannes“ oder „der Drink, den man zuviel genossen hat“. Am Ende haben sie genug aneinander vorbei geredet, das rote Licht wird weiß, und jeder geht seines Weges. Annette Stiekele