Die Ausstellung „L'Ecole de Nice“ in der Städtischen Galerie zeigt den Mischmasch, der von Künstlern aus Nizza und umzu zwischen 1960 und 1980 ausgebrütet wurde

L'Ecole de Nice, die Schule von Nizza, ist ein Begriff, der in den 60er Jahren geprägt wurde von der Kunstsociety der Cote d'Azur, nicht zuletzt um nicht unterzugehen im diffusen Grauschatten der Provinz – worunter gewöhnlicherweise in Frankreich all das verstanden wird, was außerhalb der blendenden Sonne namens Paris liegt. Darunter subsumiert sind KünstlerInnen, die auf die eine oder andere Weise von der Leinwand herabhüpften. Und die bekanntesten von ihnen waren Mitglieder der „Nouveaux Realistes“, womit eigentlich auch schon die Problematik des Begriffs der „Schule von Nizza“ zur Geltung kommt. Denn es war Yves Kleins Wohnung in Paris, wo am 27. Oktober 1960 der Hausherr, Martial Raysee und Arman förmlich ein Manifest unterzeichneten. Und mit dabei waren eben auch der Schweizer Monstermaschinenkonstrukteur Tanguely, der rumänisch-schweizer Balletttänzer und Frühstückskonservator Daniel Spoerri und ein paar andere Nichtnizzaner. Auch war es wohl eine Pariser Galerie – die von Iris Clert – die den gewaltigen Umfang absteckte, in denen dieser neue Realismus agieren konnte: 1958 machte sich dort Yves Klein auf die Suche nach der Immaterialität und der Leere, wohingegen Arman die Galerie zwei Jahre später bis zur Decke mit Gerümpel – Fahrräder, Plastiktaschen, Lampen, Bidets, Schallplatten und Möbel von der Caritas – vollkippte und das Ganze auf den anti-kleinschen Namen „Die Fülle“ taufte.

In der Städtischen Galerie sind zurzeit ein ausgesprochen kleiner Klein – witzigerweise in rot statt in mittelmeerigem Blau, eine kubistische Aufsplitterung von Geigen von Arman und ein fröhliches Materialbild von Stecknadelkissen von Jean Mas zu sehen. Darüber hinaus gibt es auch jede Menge klassische Tafelbilder: magritteartige Männer mit Melonenhüten in einem verbeamtet wirkenden exakten Pinselduktus, eine Hommage an das Quadrat im Stile Josef Albers von Aurelie Nemours und fruhtrunkartige Streifenkompositionen von Albert Garribo. Eben alles Mögliche.

Alexandre de la Salle vertrat in seiner Galerie im berühmten Künstlerdorf Vence St. Paul von 1960 bis 1999 diesen postmodernen Stilpluralismus. Sein Gemischtwarenladen hatte in seinem umfangreichen Angebot auch einige Tafeln Zartbitterschokolade: die schwarzen Bilder vom Rektor der Bremer Hochschule für Künste Jürgen Waller. Der nämlich arbeitet schon seit den 60er Jahren in Vallauris und hockte nicht einsam in seiner Landdatscha, sondern war (und ist) Teil der Künstlercommunity Südfrankreichs. Sein Galerist gönnte sich zum Ende seiner erfolgreichen Galeristentätigkeit eine Überblicksausstellung im Centre d'Art Contemporaine von Carros. Diese Ausstellung wurde nun nach Bremen geholt. Im Austausch dafür werden die Arbeiten von 15 Bremer KünstlerInnen im Sommer nach Carros eingeladen.

Streng durchrationalisierte Menschen ohne Großmut werden sich sicher fragen, warum wir Bremer ausgerechnet von der Arbeit einer Galerie auf einem anmutigen Hügel in ein paar tausend Kilometer Entfernung in Kenntnis gesetzt werden sollten. Und da Künstlerlerkolonien wie Fontainbleau oder Worpswede zum Glück ausgestorben sind, kann man natürlich im Zeitalter der Globalisierung auch den regionalen Konnex so einer Ausstellung hinterfragen; zumal ein Yves Klein weniger durch Nizza geprägt wurde als durch Ponyreiten in Irland, die Tätigkeit als Judolehrer in Madrid, seine Theaterarbeiten für Gelsenkirchen, und eben doch Paris. Die Ausrichtung des „2. Festival du Nouveaux Realistes“ in München (1963) dokumentiert den anti-regionalen Geist der Kunst der 60er ebenso, wie der große Stellenwert der Nouveaux Realistes in Deutschland (das erste Museum, das einen Arman ankaufte, war das von Krefeld, 1960) und in der USA, wo Arman bereits 1960 seine Akkumulations von Gasmasken, Schrauben, Kronkorken, Farbtuben, Posaunen... zeigte, also ein Jahr bevor Andy Warhol seine Campbell-Suppendosen zu stapeln anfing.

Der Odem von Palmen (oder Sonnenmilch) ist hier eigentlich nicht zu schnuppern. Aber die Bilder sind schön. Und unter einem großen Schwarzen von Waller lugen die Worte hervor: „Kein Saugkraftverlust“. Ein Wort das nachgerade prädestiniert ist für Staubsauger und für die Daseinsverliebtheit der ready-made-Assemblagen der 60er. Und eigentlich ist die Ausstellung doch sehr einheitlich. Schließlich ist alles ready-made. Das meinte zumindest Duchamp mit seinem wunderbar-verdrehten Schachmeisterdenken: „Da alle Tuben und Farben ready-mades sind, müssen wir folgern, dass auch alle Gemälde der Welt ready-made aided sind, gemachte oder unterstützte ready-mades.“ bk