Mit der Telekom im Schützengraben

Helau for the heroes: Mit Jean-Jacques Annauds aufgeblasenem Stalingradspektakel „Enemy at the Gates“ wurden die Filmfestspiele eröffnet

Nun also „Enemy at the Gates“, ein Film, von dem man irgendwie das Gefühl hatte, ihn schon gesehen zu haben, weil er jahrelang mit einer gigantischen Produktionspresse begleitet wurde (es kam sogar mal eine Meldung, dass alte deutsche Postflugzeuge stolzgeschwellt in einer Luftschlacht mitspielen durften). Zur Allgemeinbidung gehört inzwischen, dass das Ding mit Börsen- und Abschreibungsgeldern und womöglich noch versunkenen Resten von CDU-Spenden zu einem Budget von 180 Millionen Mark aufgeblasen wurde.

Am ehesten kann man Jean-Jacques Annauds Stalingradspektakel wohl mit dem Karnevalszug eines mittelgroßen Städtchens vergleichen, sagen wir mal Mainz oder Düsseldorf. Die Stimmung ist nicht schlecht, weil man ungefähr weiß, was einen erwartet und sich außerdem einen Spaß daraus machen kann, Kollegen und Bekannte in ihren gelungenen Verkleidungen zu erraten. Da robbt auch schon Jude Law durch den russischen Winter! Gut sieht er aus, mit dem feschen Russenkäppi, und seine Scharfschützenaugen haben prompt den ersten deutschen Offizier erspäht. Peng mit Karnevalsblut und Loch im Helm. Macht schon zwei bekannte Gesichter im Statistenmeer.

Bis man „Shakespeare in Love“-Joseph-Fiennes unter einer Ladung Schlamm erkannt hat, vergeht ein Weilchen. Da sich Stalins Kämpfer in den ausgebombten Häusern vor den Deutschen verkriechen müssen, führen uns die beiden in einen heimeligen Keller, wo schon Eva Mattes mit dampfenden Hefeknödeln wartet. Eine Mutter Courage des Untergrunds, mit weiten Röcken, warmen Blicken und Söhnchen Sascha, wobei ihre deutsche Aussprache gar nicht stört, denn im Stalingrad des Jahres 1942 sprechen sowieso alle Englisch mit verschiedenen Akzenten. Irgendwann stapft auch eine resolute Sophie Rois mit schweren Stiefeln durchs Bild: Partisanin Ludmilla, der leider ein viel zu kurzes Leben beschieden ist. Beim Appell der Russen entdeckt man in der zweiten Reihe noch den kleinen dicklichen Glatzkopf aus der Telekomreklame, nur der deutsche Shooting-Star Robert Stadlober scheint definitiv rausgeschnitten.

Bis auf das „Ich sehe was, was du nicht siehst“ in einer als Stalingrad verkleideten Filmstadt Babelsberg hat „Enemy at the Gates“ tatsächlich keine weitere Ebene, an der man sich festhalten könnte. Das mythisch-männliche Duell zwischen einem deutschen Scharfschützen (Ed Harris) und seinem russischen Gegenspieler Saizev (Law) gibt wenig Einblick in die Psychopathologie dieses Berufsstandes, den man anscheinend nur mit stahlblauen Augen zufrieden stellend ausüben kann. Reichlich plump projiziert Annaud amerikanische Celebrity-Verhältnisse auf die sowjetische Propagandamaschinerie. Stalin braucht in diesen demoralisierenden Kriegstagen Helden, also wird der zielgenaue junge Hirtenjunge Saizev („Great, I’m famous“) zum Vorzeigesoldaten stilisiert. Ideologisch nähert sich Annauds Kriegsfilm sogar der Unverdächtigkeit, da sich alle möglichen nationalen Klischees fortwährend gegenseitig neutralisieren. Der deutsche Schütze ist kalt, sauber und ein Kinderkiller. Der Russe ist mit Opa und den Wölfen aufgewachsen, hat also die besseren Instinkte. Alle anderen Russen haben schmutzige Gesichter, suhlen sich wie die Schweine in ihren Kellerverstecken und tanzen ständig zu ein und demselben Partisanenlied.

Auch auf Führungsebene differenzieren sich schnell die nationalen Leitkulturen aus: Die deutsche Heeresspitze wirkt strategisch und sadistisch, während ein gewisser Chruschtschow auf der Gegenseite viel Wodka trinkt und ständig herumschreit. Ständig meint man, dass er gleich seinen Schuh auf den Tisch haut. In Erinnerung bleibt eigentlich nur Jude Law, der durch die Kulissen mindestens so verloren tappt wie durch die Wirklichkeitsebenen in David Cronenbergs „eXistenZ“

KATJA NICODEMUS

„Enemy at the gates“. Regie: Jean-Jacques Annaud. USA/Deutschland, 129 Min.