Grüne wollen gestalten statt protestieren

Vor dem Landesparteitag Ende Februar fordern grüne Realos einen Wechsel in der Verkehrs-, Wirtschafts- und Ausländerpolitik. In Berlin habe der Übergang von der Protest- zur Gestaltungspartei noch nicht stattgefunden

Knapp zwei Wochen vor dem Landesparteitag der Grünen fordert eine Gruppe Realos einen Wechsel in wichtigen Politikfeldern. Ein „programmatischer Neuanfang“ soll vor allem in der Verkehrs-, Wirtschafts-, Integrations- und Stadtentwicklungspolitik gewagt werden. Die Partei müsse Postulate verändern, „die mit unserer Lebenswirklichkeit und mit dem Lebensgefühl unserer Mitglieder und Wähler(innen) nicht mehr übereinstimmen“, heißt es in einem Parteitagsantrag. Das Papier haben 26 Grüne unterzeichnet, darunter die Landtagsabgeordneten Camilla Werner, Jeannette Martins, Özcan Mutlu und die Exbundesgesundheitsmininisterin Andrea Fischer.

Die Partei müsse ihren Wandel zur Regierungspartei anerkennen, so die Autoren. In Berlin habe jedoch „der Übergang von der Protest- zur Gestaltungspartei offenbar noch nicht stattgefunden“. Die Realos wollen jetzt den Brückenschlag zu den Modernisierungsgewinnern in der Stadt. Von grünen Grundwerten wie Ökologie, Selbstbestimmung und Solidarität müsse eine Verbindung hergestellt werden zu Leitmotiven wie Innovation, Flexibilität und Lebenslust.

Die Stadtentwicklungspolitik soll sich stärker an Wirtschaftsinteressen orientieren. Im Gegensatz zum bisherigen Grünen-Postulat des Vorrangs von Grünflächen in der Innenstadt sind die Realos bereit, „im innerstädtischen Bereich eine weitere Verdichtung in Kauf zu nehmen“.

Hart ins Gericht gehen die Autoren mit der grünen Verkehrspolitik. Die „bisher praktizierte Autoverbotspolitik mit Zeigefinger und Umerziehungshabitus“ sei unbrauchbar. Dieser Habitus negiere die Wirklichkeit. Das Auto werde als Ausdruck von Individualisierung auch in Zukunft eine Rolle spielen. Oft werde es den kollektiven Verkehrsangeboten vorgezogen. „Das gilt auch für uns und unsere Wähler. Auch wir benutzen Autos.“

In der Wirtschaftspolitik setzen die Autoren unter anderem auf haushaltsnahe und handwerkliche Dienstleistungen. Hier müssten die Rahmenbedingungen für das Entstehen neuer Jobs verbessert werden. Damit seien aber keineswegs die von den Unternehmerverbänden geforderten Lohnsenkungen und Deregulierungen gemeint, betont Unterzeichnerin Jeannette Martins. Zudem wollen die Realos „den öffentlichen Sektor zurückfahren, wo er nicht mehr gebraucht wird“. Überzähliges Personal müsse nicht automatisch im Landesdienst verbleiben.

Die Partei müsse sich in der Stadtteilpolitik dem Fakt stellen, dass gut verdienende Haushalte ins Umland abwanderten und so innerstädtische Quartiere destabilisierten. Deshalb sei die pauschale Forderung nach Wiedereinführung der Mietpreisbindung keine Lösung.

In der Integrationspolitik dürften reale Problem in Stadtteilen mit hohem Immigrantenanteil nicht tabuisiert werden. „Emanzipationsfeindliche Zustände in vielen Einwandererfamilien“ seien Ausdruck einer stockenden Integration. Religiöse Eiferer seien auf dem Vormarsch; Familienväter verbauten ihren Kindern Chancen. In der Folge entfernten sich die Communities von der sie umgebenden Gesellschaft. Das Ergebnis habe mit einer multikulturellen Gesellschaft nichts zu tun.

RICHARD ROTHER