Auferstanden aus dem Schlamm

Sven Beuckert hält gegen Mönchengladbach zwei Elfmeter, die den 1. FC Union Berlin ins Pokalfinale befördern

BERLIN taz ■ Der Morgenstern traf Arie van Lent unerwartet. Das mittelalterliche Hiebinstrument schlug auf dem Rücken des Stürmers von Borussia Mönchengladbach ein, aber er bemerkte die Attacke gar nicht. Die Waffe von Ritter Eisenkeule war nur eine Attrappe. Das Maskottchen Union Berlins ließ vom Borussen ab und wendete sich neuen Opfern zu. Heerscharen rotweiß gekleideter Fans bestürmten unterdessen den knetweichen Acker. Van Lent machte sich lieber davon, nachdem er seine Waffen verschossen hatte, zum Beispiel den ersten Strafstoß des Elfmeterschießens im Pokal-Halbfinale beim 1. FC Union.

Er hatte im Gegensatz zu Ritter Eisenkeule das Übel kommen sehen. Kurz bevor sein Stiefel den Ball traf, beschlich ihn das Gefühl, das Ding geht nicht rein. Und es ging nicht rein. Torwart Sven Beuckert hechtete ins richtige Eck, der Anfang vom Ende der Gladbacher zeichnete sich ab. Denn Beuckert hielt, was zu halten war. Und als Van Lent mit dem Schaumstoffprügel eins übergezogen bekam, da hatte Union Berlin schon gewonnen und stand im Pokal-Finale.

Davor hatte Van Lent freilich auch glückliche Momente erlebt an diesem Abend in Berlin-Köpenick. Er schoss zwei Tore für sein Zweitligateam, und voreilige Beobachter auf der Pressetribüne telefonierten ihrer Stammredaktion bereits die Note „Eins“ für Van Lent zu, obgleich der Ball in der ersten Halbzeit am Angreifer meist vorbei lief. Als Van Lents Elfer gehalten war, griff der Berichterstatter hektisch zum Handy und gab zornig durch, man möge „Sehr gut“ bitte in eine „Vier“ abändern.

Die Benotung dürfte Sven Beuckert bekannt vorkommen. In den Testspielen der Winterpause bekam er immer wieder „Gurkentore“. Zweifel an seiner Form keimten. Am Mittwochabend verriet der schlaksige Ballfänger, er sei kein Typ von Vorbereitungsspielen. „Ich brauche das Kribbeln.“ Die beliebte Frage nach der Gefühlslage konterte er mit einem „Super!“ und suhlte sich im Erfolg: „Die Mannschaft hat sich heute reingeschmissen in den Schlamm. Wir hatten keinen Druck.“

Trotz der inferioren Platzverhältnisse spielten beide Teams ansehnlichen Fußball, der auch dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen Kurzweil bereitete. Mit Union-Präsident Heiner Bertram besprach er auf den Ehrenplätzen die finanziellen Engpässe des Regionalligisten und versprach, 300.000 Mark für eine Lautsprecheranlage bereitzustellen. Noch musste über ein geborgtes Gerät verkündet werden, dass Bozo Djurkovic zum 1:0 traf und Steffen Menze zum 2:2. Überdies hatte Union das Stadion mit einer überdachten Tribüne verhübscht.

Die Umbauten dürften nicht reichen, um den Rat Hans Meyers in die Tat umzusetzen. Mönchengladbachs Trainer bemerkte lakonisch, mit einem Gesuch beim DFB ließe sich vielleicht erreichen, dass Union auch das sechste Pokalspiel in Folge zu Hause in der Alten Försterei austragen könne. „Es weiß jeder, dass wir schlechter sind als Bayern und Union besser ist als Magdeburg“, erklärte Meyer anschließend die jüngere Pokalgeschichte. „Es spricht nun sehr viel für Union.“ Die Niederlage im Halbfinale schmerze ihn sehr, sodass er erwäge, künftig in den ersten Pokalrunden auszuscheiden.

Union befreite sich derweil vom Stigma, in Entscheidungssituationen zu versagen. Der Klub scheiterte im Sommer im Elfmeterschießen an Osnabrück. Dabei, so erkannte auch Bertram, ist es ganz einfach: Um viel zu gewinnen, müsse man aufhören zu verlieren. Der allmähliche Aufstieg gelingt freilich nur im drittklassigen Ligaalltag. Der Pokal bringt zwar Geld in die Kassen, viele Kameras und ein überlanges VIP-Zelt ins Stadion, doch er befreit nicht von der Last, am nächsten Sonntag gegen Wattenscheid drei Punkte gewinnen zu müssen. Im Gegenteil.

Demnach, sagte Trainer Georgi Wassiliew, müsse man das Spiel schnell vergessen, seinen Spielern gab er vorsorglich lediglich frei bis morgen Früh. Dann müsse wieder hart gearbeitet werden. Sven Beuckert wollte die Freizeit bei einem Umtrunk nutzen. Zwei Gläser Orangensaft sollten schon drin sein. Oder drei, ließ er wissen.

MARKUS VÖLKER